People | 08.12.2021
„Malen ist Katharsis“
Bildende Kunst vermittelt, expliziert und präzisiert stumm die Welt. Sie präsentiert nicht nur das Sichtbare, sondern vermag auch das Unsichtbare sichtbar zu machen. Kunst erzählt sowohl das Sagbare als auch das Unaussprechliche. Kunst ist kurz schöpferisches Gestalten mit oder auch ohne Nutzen – l‘art pour l‘art, Kunst als Selbstzweck. Ob dekorativ, informativ oder ihren Sinn und Nutzen bloß in einer ästhetischen Erfahrung für den Betrachter habend, tatsächlich sind die Funktionen von Kunst beinahe so vielfältig wie ihre Betrachter. „Die Kunst ist zwar nicht das Brot, wohl aber der Wein des Lebens“ – der deutsche Dichter Jean Paul verwendete den Saft der edlen Reben als Metapher für Kunst: Kunst nicht als Lebens-, wohl aber als höchstes Genussmittel.
Für Kurt Stimmeder ist Kunst beides. Zwischen Wein und Kunst sieht er jedoch neben der metaphorischen auch eine pragmatische Verbindung: „Man kann Kunst letztendlich so betrachten wie Wein. Es gibt zwei Faktoren, auf die es ankommt, ob ich mir einen Wein kaufe oder nicht: ‚Schmeckt er mir oder nicht?‘ und ‚Will ich ihn mir leisten oder nicht?‘. Bei der Kunst ist es genauso: ‚Gefällt mir ein Bild oder nicht?‘ und ‚Will ich es mir leisten?‘.“ Noch etwas haben Kunst und Wein gemeinsam, für beide gilt: Geschmack ist immer subjektiv. Er muss es wissen, beinahe zwanzig Jahre lang arbeitete der Künstler, der sich schwer damit tut, sich selbst einen solchen zu nennen, passioniert als Sommelier, bis vor Kurzem noch neben seiner malerischen Tätigkeit. Bis ihm keine Zeit mehr dafür blieb, weil das Interesse an seiner Kunst so stark gewachsen war, dass ihm schlicht die Zeit für den alten Brotberuf fehlte.
Elektriker, Sommelier, Künstler. 1972 in Bad Leonfelden im Mühlviertel geboren, absolvierte Kurt Stimmeder nach seiner schulischen Ausbildung eine Elektrikerlehre und begann mit 16 Jahren, Kontrabass zu spielen. Viele Jahre war er als Kontrabassist Teil
einer Rockabilly-Band, die er auch managte. Dass er „immer schon gut organisieren konnte“, kam ihm später wohl auch als Künstler zugute. Als Musiker und Sommelier – als solcher führte er mehr als 1.000 Weinverkostungen – baute sich Stimmeder ein großes Netzwerk auf. Er liebt es, mit und vor Menschen zu sprechen, was neben seinem augenscheinlichen künstlerischen Talent auch zu seinem Erfolg als Maler beiträgt: „Ich bin ein sehr sozialer Mensch.
Das hilft.“ Das entspricht so gar nicht dem Klischee des einsamen, exzentrischen, verplanten und exaltierten Künstlers, doch auch Kurt Stimmeder habe seine dunklen Seiten und Schatten. Seine Obsession, das Malen, hilft ihm über jede Sinn- und Lebenskrise hinweg. Eine solche brachte Stimmeder überhaupt erst zum Malen. Es war Zufall. Er hatte eine Sinnkrise, da war er um die 30, und wollte etwas ändern in seinem Leben. „Ich kam an einen Punkt im Leben, an dem ich mich fragte: Was will ich eigentlich? Ich dachte, ich wäre nun in einem Alter, wo ich das tun sollte, was ich wollte. Und was ich wollte und will, ist das gegenständliche Malen nach der Natur, sind die alten Meister der Malerei.“
Die alten Meister der Malerei. So ließ der Linzer zunächst die Musik hinter sich und beschäftigte sich mit der altmeisterlichen Malerei. Er fuhr in Museen, machte Gemäldestudien, lernte durch stundenlanges Betrachten und brachte sich autodidaktisch die Techniken bei. Zudem begann Kurt Stimmeder zu recherchieren, verschlang Bücher und merkte bald, dass darin vieles stand, worauf er durch seine Studien selbst schon gekommen war. Seine Vorbilder sind bis heute die alten Meister, die Maler des 14. bis 18. Jahrhunderts. „Ich bin der Meinung, dass man, wenn man gegenständliche Malerei betreiben möchte, nicht um die alten Meister herumkommt. Die Malerei hatte ihren Höhepunkt technisch betrachtet vor 500 Jahren, seither geht es bergab.“ Wobei es mittlerweile auch sehr spannende zeitgenössische Maler gebe, deren technischen Fertigkeiten gigantisch seien, fährt Stimmeder fort. Was die Bildkompositionen betrifft, so berühren ihn die großen Altarbilder von Peter Paul Rubens sehr. „Eigentlich sind mir Rubens‘ Bilder viel zu bunt, und auch dessen Sujets sprechen mich nicht sonderlich an – ein Hans Holbein holt mich bei Weitem mehr ab, sein Realismus, damals war fast noch Mittelalter, ist überwältigend –, aber die Komposition, der formale Aufbau, die Anordnung der Figuren, die geometrischen Beziehungsverhältnisse und diese Harmonie in Rubens Werken sind für mich kaum zu übertreffen. Wenn ich unrund bin und in einem Museum eine Rubens-Studie mache, bin ich danach so derartig geordnet, wie ich es sonst nur von der Meditation kenne.“
Der Schaffensprozess. Und Ordnung ist Kurt Stimmeder äußerst wichtig. Der Schaffensprozess erfordert von ihm 100-prozentige Klarheit. „Der Prozess der Entstehung eines Bildes kann sehr fordernd sein. Man muss die Umstände wissen, die für einen selbst nötig sind, um kreativ zu sein. Bei mir muss, zum Beispiel, ein gewisses Maß an Sauberkeit und Ordnung vorhanden sein im Atelier.“ So einfach ist es freilich nicht, im Kopf des Schöpfers aufwendiger Kunstwerke spielt sich viel mehr ab. Zunächst habe Stimmeder etwas vor dem inneren Auge, sein Gehirn brauche dann einige Zeit, aber auf einmal mache es „kling“, dann sehe er es dreidimensional vor sich auf der Leinwand: „Ich male das Vorgestellte dann nur mehr wie eine Maschine ‚heraus‘. So eine Phase kann sich über Tage aufbauen und endet in einem Höhepunkt mit einem Breakdown und einer totalen Erschöpfung.“ Der Schaffensprozess ist das, was den Linzer am meisten interessiert, und jener variiert
immer ein wenig: „Wenn er abgeschlossen ist, ist das fertige Bild uninteressant für mich, es entsteht dann eine innere Ordnung.“
Malen als Katharsis. Das Malen drängt bei Kurt Stimmeder triebhaft nach draußen: „Es gibt Leute, wie ich es einer bin, die müssen sich ausdrücken, das hat fast pathologische Züge. Ich habe einmal auf einem Quadratdezimeter Leinwand einen Farbton gesucht – und dieses Flimmern, von dem ich noch nicht wusste, wie ich es in ein Bild hineinbekomme.“ Das „Flimmern“ vergleicht Stimmeder, darauf hat ihn ein Freund gebracht, mit einer Schallplatte: „Auf einer solchen hört man das Aufsetzen der Nadel als Knistern, welches während des Liedes zwar auch da, aber nicht mehr hörbar ist. Wenn ich sage, die Musik ist die realistische Darstellung und braucht das Knistern, damit sie eine gewisse Lebendigkeit hat, dann muss ich mich als Künstler fragen: Wie bekomme ich dieses Knistern in meine Arbeiten? Eine realistische Arbeit kriegt erst dann eine Lebendigkeit, wenn in gewisser Weise auch Dinge zu sehen sind, die man nicht sieht.“ Das Innere, der Geist, die Psyche des Menschen? „Ja genau, das darzustellen ist der springende Punkt. Daran habe ich lange gearbeitet und herumprobiert. Ich habe eine Woche, 50 Stunden lang, mit einer Pinselspitze auf diesem einen Quadratdezimeter Leinwand getupft. Während dieses Prozesses erlebte ich auf intensivste Weise Traumata meiner Kindheit wieder. Das war ein reinigender Prozess, es war Katharsis.“
Autodidakt. Hinter seinen Kunstwerken steckt klar ersichtlich künstlerisches Geschick – Talent. Jenes kann man bekanntlich nicht erlernen, aber durch hartes Arbeiten verstärken und zur vollen Entfaltung bringen. Stimmeder hat sich alles selbst beigebracht. Die autodidaktische Aneignung technischen Wissens rund um die Malerei ist schwierig, aber „durchaus machbar“. Was das Technische betrifft, so besuchte der Linzer in seinen künstlerischen Anfängen vor allem den Prado in Madrid, aber auch andere renommierte Museen. „Da man im Prado nicht fotografieren darf, machte ich Gemäldestudien vor Ort. Freilich hätte mir das ein Lehrer beibringen können …“ Aber? Seine Bewerbung an der Kunsthochschule Linz wurde zwei Mal abgelehnt. Was er von dieser ernüchternden Erfahrung Positives mitnehmen konnte für seine heutige Karriere? Stimmeders Antwort lautet nüchtern: „Ich passte nicht hinein. Die Linzer Kunsthochschule – heute Kunstuniversität – hatte damals andere Schwerpunkte in der Malerei als die, die ich suchte.“ Ablehnung sei natürlich immer unangenehm, aber auch etwas, mit dem man sich auseinandersetzen müsse.
Der erste Malversuch. Das erste Bild, das er verkaufte, war ein Porträt seiner damaligen Freundin. Eigentlich wurde es ein Tauschgeschäft: Stimmeder tauschte es gegen einen maßgeschneiderten Herrenanzug. Und wie kam es zu dem Bild? „Meine Freundin hatte die Angewohnheit, alles, was sie nicht mehr brauchte, auf meinen Küchentisch zu legen. Einmal lagen dort zwei Ölfarben. Das wollte ich ausprobieren, oder eigentlich wollte ich mir nur beweisen, dass es ein Blödsinn war. Ich kaufte also nur zwei weitere Farben, einen Pinsel und eine Verdünnung und malte besagtes Porträt auf neun zusammengeklebte Blätter Kopierpapier.“ Kurt Stimmeder arbeitet bis heute mit einer reduzierten Palette, verwendet – neben Schwarz und Weiß – bloß zwei Farben: Rot und Gelb, ab und zu Blau. „Bis man aus diesem kleinen Farbspektrum alles mischen kann, dauert es Monate, man braucht schon eine Obsession.“
Von Kunst leben. Kurt Stimmeder gehört zu den wenigen österreichischen Malern, die von ihrer Kunst leben können. Gedauert hat es „magische, aber zehn sehr arbeitsintensive Jahre“, bis es so weit war. Heute macht er neben seinen eigenen Auseinandersetzungen auch Auftragsarbeiten. Stimmeder ist heute, nach der jahrelangen Beschäftigung mit den Maltechniken, auf der Suche nach Inhalten. Zentral ist das Porträt: Es sind Geschichten von Menschen, die ihn interessieren. Dass er das Weingeschäft letztendlich für die Kunst aufgeben musste, war kein Leichtes. „Der Loslösungsprozess war hart, denn der Wein war eine Passion von mir, ich hatte das immerhin fast 20 Jahre gemacht. Meine Verkostungen waren nie ‚Standard-Verkostungen‘, ich habe dabei auch immer Kunst einfließen lassen. Aber es ging zeitlich einfach nicht mehr.“ Die Weinverkostungen waren auch eine Art Flucht aus dem Atelier, weil ihm die Künstlereinsamkeit zu schaffen machte. Mittlerweile ist diese Phase überstanden, Stimmeder hat sich ein soziales Netz in der Stadt aufgebaut, geht einmal am Tag hinaus, macht einen Spaziergang und kehrt dann wieder frisch zurück in sein Atelier.
Von der London Art Biennale zur Red Dot Miami. Kurt Stimmeder schafft es in seinen Werken, das Innere seiner Modelle darzustellen. Seine Bilder wirken in starker Weise auf den Betrachter ein, sind mitunter bewegend und aufwühlend. Dies trifft insbesondere auf sein neuestes Werk zu, welches er auf der Red Dot Miami, einer Kunstmesse, die von 1. bis 5. Dezember stattfindet, ausstellen wird. Wie es dazu kam, dass Stimmeder auf dieser renommierten Messe, die Teil der Art Basel Week und in Miami jedes Jahr das Spektakel schlechthin ist, vertreten ist? „Ich traf auf der London Art Biennale auf eine Galeristin, die meine Arbeit sah und mir nicht nur Gruppenausstellungen in London anbot, sondern auch die Red Dot Miami, die im Übrigen in fünf Tagen 10 Mio. Dollar Umsatz macht und wo Werke bis zu einem Preis von 250.000 Euro präsentiert werden.“
Die Arbeit, die Stimmeder in Miami ausstellen wird, trägt den spanischen Titel „Me Gusta“ (dt. „Schmeckt mir“) und zeigt einen Mann in traditioneller mexikanischer Frauenkleidung. Der Maler erzählt damit die persönliche Geschichte eines offen homosexuellen Mannes in dessen Familie und in weiterer Folge in der mexikanischen Gesellschaft. „Homosexualität ist immer noch ein schwieriges Thema, das ich auf allegorische Art und Weise sichtbar machen wollte.“
Die Platzierung auf der Red Dot Miami trägt dazu bei, dass der Name Kurt Stimmeder, dessen Bilder sich preislich zwischen 2.000 und 25.000 Euro bewegen, weiter steigt. „Wenn ein Kunstwerk in einer renommierten Galerie ausgestellt war, wenn es einer großen Auslese unterzogen wurde, macht das etwas mit einem Bild, es steigert den Wert enorm.“ Mit seiner Arbeit „Der gespannte Bogen“ wurde Stimmeder international unter 20.000 Künstlern für die London Art Biennale ausgewählt, wobei er in London nochmals unter 25 anderen Künstlern auserkoren wurde, deren Arbeiten nächsten Sommer im Museum of Art in Chianciano in der Toskana ausgestellt werden.
Dass „Me Gusta“ auf der Red Dot Miami verkauft wird, steht für Kurt Stimmeder nicht im Vordergrund: „Wenn nicht, ist das in Ordnung für mich. Diese Arbeit ist wunderschön, ich möchte sie noch für Awards einreichen, habe keine Bedenken, dass ich sie irgendwann verkaufen werde. In Miami geht es für mich mehr um das Knüpfen von Kontakten. Zudem wirkt sich Miami auf mein Künstlerranking aus. Ich erzeuge mit jeder Platzierung im internationalen Künstlerranking Mehrwert für alle, die ein Kunstwerk von mir gekauft haben. Ein Porträt kann vom Familien-Erinnerungsstück zum Investmentobjekt werden. Es ist eine Form der Nachhaltigkeit.“
Die Kunst des Berührens. Auf die Frage, was ihn als Künstler auszeichne, warum sich jemand einen Stimmeder zu Hause aufhänge, gibt der Maler ausnahmsweise eine kurze Antwort: „Weil er mich berührt.“ Kurt Stimmeder erlebe es immer wieder, dass seine Porträts Menschen zum Weinen bringen. Weil er Seiten in die Gesichter hineinbringe, die sie so noch nie gesehen haben. Das glauben wir ihm aufs Wort.