People | 25.02.2021
"Ich will anspruchsvoll unterhalten"
Hochspannend, realitätsnah und immer auf seriösen, wissenschaftlichen Theorien beruhend: Die Romane des Wiener Autors Marc Elsberg sind nicht umsonst zu internationalen Bestsellern geworden. Immer gerät die Menschheit an ihre Grenzen, Gesellschaften drohen zu kippen. In „Blackout“ zum Beispiel schreibt er über den Totalausfall des europäischen Stromnetzes und dessen dramatische Folgen. Und das nicht etwa staubtrocken, sondern in Form eines Thrillers. Am Ende jedes Kapitels ein Cliffhanger, sodass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen will. Wir haben den 54-jährigen Wiener via Skype zum Interview getroffen, denn bereits Anfang März erscheint sein neuestes Buch. Darin muss ein ehemaliger US-Präsident ins Gefängnis ...
Ihr neues Buch „Der Fall des Präsidenten“ erscheint Anfang März. Was hat Sie zu diesem Roman inspiriert? Sind Ähnlichkeiten mit lebenden Personen Zufall?
(lacht) Es ist tatsächlich ein Zufall, weil mich dieses Thema schon sehr lange beschäftigt hat. In der Geschichte geht es um Kriegsverbrechen, die ein ehemaliger Präsident im sogenannten Krieg gegen den Terror begangen hat. Das hat in den USA unter George W. Bush angefangen, ist unter Barack Obama eskaliert und von Donald Trump noch einmal weiter befeuert worden. Das hat mich als Thema schon lange gereizt und dass das jetzt ausgerechnet mit Trump und dessen Abgang zusammenfällt, ist ein Zufall. Mein Präsident heißt übrigens Douglas Turner, die Initialen sind also D. T. Optisch hat er allerdings gar keine Ähnlichkeit mit Donald Trump. Das Kuriose ist vielleicht, dass meine vergangenen Bücher immer von solchen „Zufällen“ begleitet wurden.„Blackout“ wurde fertig, als Fukushima explodiert ist. Als ich „Zero“ geschrieben habe, hat Whistleblower Edward Snowden seine Veröffentlichungen gemacht. Und als ich begonnen habe, „Helix“ zu schreiben, sind Manipulationen an befruchteten menschlichen Eizellen in China bekannt geworden. Irgendwie begleiten meine Bücher immer solche Zufälle.
Sie sind für Ihre akribische Recherche bekannt. Ihre Bücher sind sehr realitätsnah geschrieben. Wie lange dauert es von der ersten Idee in Ihrem Kopf bis zum fertigen Manuskript?
Das ist unterschiedlich, weil ich die Themen schon sehr lange mit mir herumschleppe. Darum informiere ich mich auch laufend darüber und eigentlich ist es eher so, dass irgendwann der Augenblick da ist, an dem mir die richtige Geschichte dazu einfällt. Auch beim jetzigen Buch war es nicht so, dass ich gesagt habe: Ich will eine Geschichte darüber schreiben, dass ein amerikanischer Präsident ins Gefängnis kommt. Vielmehr ist mir eine Geschichte vorgeschwebt, in der es um internationale Gerechtigkeit und den Umgang des Westens mit seinen eigenen Werten, allen voran den Menschenrechten, geht. Diese Werte halten wir so hoch, aber in dem Augenblick, in dem wir sie selbst einhalten sollen, haben wir möglicherweise Schwierigkeiten damit, weil es uns nicht so in den Kram passt. Und irgendwann ist mir die Idee gekommen: Warum ziehe ich nicht gleich den mehr oder minder obersten Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft? Wenn ich mal so weit bin, habe ich meistens schon
sehr viel rundherum recherchiert. Und dann dauern die intensive Nachrecherche und das Schreiben vielleicht noch mal ein Jahr bis ein- einhalb Jahre.
Ihre Bücher haben mich zum Teil sehr nachdenklich gemacht. Möchten Sie damit auch zum Nachdenken anregen oder geht es in erster Linie darum, die Leser zu unterhalten?
Grundsätzlich will ich Leute anspruchsvoll unterhalten. In allererster Linie schreibe ich Bücher, die ich selbst gern lesen würde. Ich mag Literatur, die mich zum Nachdenken oder Diskutieren mit anderen Menschen anregt. Nicht alle Bücher sollen und müssen so sein. Manchmal möchte man einfach ein paar Stunden gut unterhalten werden. Für mich fallen Unterhaltung, Spannung und Interesse bis zu einem gewissen Grad zusammen. Ich finde Themen spannend, die mich nachdenklich machen oder mir eine neue Perspektive eröffnen. Und wenn das bei den Lesern auch so ist, dann freut mich das natürlich.
Beim Lesen von „Blackout“ war ich überrascht über die Zusammenhänge und Folgen eines totalen Stromausfalls in Europa. Bis dahin hatte ich mich nicht mit diesem Thema beschäftigt. Als dann der erste Lockdown infolge der Coronapandemie verhängt wurde, habe ich mich ein bisschen daran erinnert gefühlt ...
Es gibt natürlich gewisse Parallelen. Und erst Anfang Jänner war das europäische Stromnetz etwas wackelig. Das hätte uns gerade noch gefehlt – mitten in einem Pandemie-Lockdown auch noch ein Blackout. Es war dann zum Glück nicht ganz so dramatisch, wie es im ersten Augenblick ausgesehen hat, aber trotzdem gibt es Parallelen zu dem Szenario in „Blackout“. Dieses Herausgerissenwerden aus dem Alltag ist eine große Parallele. Keinen Zugang mehr zu vielen Dingen zu haben, die man gewohnt ist, das Zusammenbrechen bzw. Verschwinden von sozialen Kontakten, von dem, was man Gesellschaft nennt, ohne dass diese kollabiert und deshalb brutal wird oder eskaliert. Jeder von uns kennt das. Wir alle vermissen inzwischen das Treffen von Freunden. Wobei ein Blackout natürlich viel schlimmer ist, weil auch lebensnotwendige Dinge wie die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln zusammenbrechen.
Auch die Spaltung der Gesellschaft kommt in Ihrem Buch vor ...
Das ist etwas, was mich in meinen Geschichten immer wieder beschäftigt. Auch die Pandemie zeigt uns jetzt dieses Auseinanderdriften der Gesellschaft. In „Blackout“ können es sich die, die oben sitzen und ausreichend Mittel zur Verfügung haben, richten. Auch in „Gier“ gibt es diese Szene, in der die Superreichen aus Berlin im Privatjet in ihre Krisen- Retreats nach Neuseeland abhauen. In „Helix“ sind es ebenfalls die sehr wohlhabenden Menschen, die sich die gentechnisch aufgepimpten Kinder leisten können. Das ist ein Thema, das unsere Gesellschaft zunehmend beschäftigt. Und das zurecht, weil es ein Problem darstellt und die Beförderung von Wohlstand und einer funktionierenden Gesellschaft zunehmend verhindert oder sogar zerstört. In meinem neuesten Buch mache ich so ein bisschen die Gegenthese. In meinen bisherigen Büchern war es so, dass es sich die oberen ein, zwei Prozent richten konnten. Im Fall des Präsidenten wird jetzt einmal einer eingesperrt, also er wird zumindest vorübergehend festgenommen. Ob er dann im Gefängnis bleibt, wird die Geschichte des Buches zeigen (lacht).
Ein ehemaliger US-Präsident landet also tatsächlich im Gefängnis?
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat keine eigene Exekutive. Das heißt, sie können niemanden verhaften, sondern sind darauf angewiesen, dass ihnen die Polizei von einem der insgesamt 124 Unterstützerstaaten hilft. Im Buch ist es die griechische Polizei, weil sich der Ex-Präsident aus geschäftlichen Gründen in Athen befindet. Und die Griechen machen das tatsächlich, unglaublicherweise. Im nächsten Schritt geht es darum, ob der Präsident überhaupt nach Den Haag ausgeliefert wird und es zu einem Gerichtsverfahren vor dem Internationalen Strafgericht kommt. Das ist letztendlich auch das Spannende: Kommt er dorthin oder schaffen es die Amis, ihn vorher zu befreien?
Kann es auch sein, dass sich eine Geschichte, die Sie im Kopf bereits entwickelt haben, während des Schreibens noch einmal verändert?
Ja, das passiert sogar laufend. Ich weiß meistens, wie die Geschichte beginnt und wie sie endet. Meistens weiß ich auch schon, wie das erste Viertel der Geschichte laufen wird. Im Moment bin ich schon am Entwerfen des nächsten Buches. Dafür mache ich mir eine Art Timeline für die ersten paar Stunden. Dabei halte ich in Stichworten fest, was in dieser Zeit mit den einzelnen Figuren passiert. Das plane ich, aber es kommt regelmäßig vor, dass man zwar etwas plant, aber das beim Schreiben über den Haufen wirft. Weil es dabei immer wieder diesen spannenden Moment gibt, dass man sich zwar etwas vorgenommen hat, aber irgendeine Figur es anders machen will. Das ist im Prinzip wie eine Landkarte, auf der man sich eine Route von A nach B festgelegt hat. Vor Ort auf dem Weg kann es sein, dass man die Route ändert – weil zum Beispiel eine Abzweigung da ist, die auf der Karte gar nicht eingezeichnet ist. Es ist also eine Mischung aus Planung und Spontanität. Ich plaudere auch gern mit Autorenkollegen und viele machen ähnliche Erfahrungen. Wobei es auch einige gibt, die drauflosschreiben, ohne vorher viel geplant zu haben oder das Ende zu wissen. Das mache ich nicht. Ich muss ungefähr wissen, wo ich hingehe. Und ich weiß im Allgemeinen auch dazwischen schon wichtige Handlungs- und Wendepunkte. Bei mir sind es die Details, bei denen ich anfange, zu improvisieren oder die Intuition zu ihrem Recht kommen lasse.
Sie arbeiten bereits an Ihrem nächsten Buch. Wor- um wird es gehen?
Das verrate ich noch nicht! Es ist ja noch nicht einmal „Der Fall des Präsidenten“ erschienen (lacht).
Sie haben Ihr erstes Buch bereits im Jahr 2000 veröffentlicht. Damals haben Sie auch noch sehr erfolgreich in der Werbebranche gearbeitet. Was war Ihr Antrieb, dennoch ein Buch zu schreiben?
Dafür gab es verschiedene Gründe. Ich habe damals freiberuflich gearbeitet und hatte relativ viel Zeit, die ich mir frei einteilen konnte. Über meine langen Jahre in der Werbung habe ich immer wieder nebenbei neue Dinge ausprobiert. Ich habe als Grafiker in der Werbung begonnen, das Texten ist erst später dazu gekommen. Ende der 90er-Jahre habe ich mir gedacht, dass ich eine Geschichte, die es noch nicht gab, wohl selbst erzählen muss. Also habe ich sie selbst geschrieben. Es war ein großer Zufall und Glück, dass ein kleiner Verlag in Berlin sie veröffentlicht hat. Das waren meine Anfänge. Dann habe ich Blut geleckt und weiter gemacht.
Zwei Ihrer Bücher, nämlich „Blackout“ und „Zero“, sind in Deutschland als „Wissensbuch des Jahres“ ausgezeichnet worden. Sie waren damit der erste Autor, der diese Auszeichnung zwei Mal bekommen hat. Macht Sie das auch ein bisschen stolz?
Ich finde es eine schöne Anerkennung dafür, dass es mir offenbar gelungen ist, Bücher in einer Art zu schreiben, wie Menschen sie gern lesen. Unterhaltung, die auch einen gewissen Anspruch hat und man vielleicht sogar ein bisschen etwas daraus lernt. Wenn man das Buch zumacht, weiß man ein bisschen mehr über die Welt und hat sich gleichzeitig gut unterhalten. So ein Preis sagt auch bis zu einem gewissen Grad aus, dass das gelungen ist.
Sie widmen Ihre Bücher Ihrer Frau Ursula. So ist auch im neuesten Buch ganz vorne zu lesen „Wie immer, für Ursula“. Warum ist Ihnen wichtig, Ihre Bücher der Frau in Ihrem Leben zu widmen?
Das Schriftsteller-Dasein ist nicht immer ganz unkompliziert. Man braucht jemanden, der das unterstützt. Außerdem ist meine Frau eine meiner wichtigsten Gesprächspartnerinnen, wenn es um die Themen der Bücher geht. Sie hat das seit jeher unterstützt, auch als meine Bücher ausschließlich meine Freunde und Verwandten gekauft haben und sonst niemand. Diese Unterstützung hält bis heute an – also wem soll ich meine Bücher sonst widmen?
BUCHTIPP
„DER FALL DES PRÄSIDENTEN“
Zum Inhalt:
Nie hätte die Juristin Dana Marin geglaubt, diesen Tag wirklich zu erleben: Bei einem Besuch in Athen nimmt die griechische Polizei den Ex-Präsidenten der USA im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs fest. Sofort bricht diplomatische Hektik aus. Der aktuelle US-Präsident steht im Wahlkampf und kann sich keinen Skandal leisten. Das Weiße Haus stößt Drohungen gegen den Internationalen Gerichtshof und gegen alle Staaten der Europäischen Union aus. Und für Dana Marin beginnt ein Kampf gegen übermächtige Gegner. So wie für ihren wichtigsten Zeugen, dessen Aussage den einst mächtigsten Mann der Welt endgültig zu Fall bringen kann. Die US-Geheimdienste sind dem Whistleblower bereits dicht auf den Fersen. Währenddessen bereitet ein Einsatzteam die gewaltsame Befreiung des Ex-Präsidenten vor, um dessen Überstellung nach Den Haag mit allen Mitteln zu verhindern ...