People | 12.05.2021
"Ich gehe keine Kompromisse ein"
Nach einer Zeit der kulturellen Entbehrungen erscheint jetzt wieder ein erster Lichtstreif am Horizont und ab 19. Mai heißt auch das Brucknerhaus in Linz sein Publikum wieder willkommen. Unter dem Titel „Brandauer liest Zweig“ ist Klaus Maria Brandauer am 23. Mai im Brucknerhaus mit Auszügen aus Stefan Zweigs autobiografischem Werk „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ (1939-41) zu hören. Darin beschreibt Zweig die Gelöstheit und Heiterkeit Wiens und Österreichs in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und zeigt auf, wie zerbrechlich unsere Werte sind und wie schnell aus der „Welt der Sicherheit“ ein Risikogebiet werden kann. Ein Thema, das vor allem in Zeiten der Coronapandemie zum Nachdenken anregt.
Herr Brandauer, inwieweit gibt es Ihrer Ansicht nach in Stefan Zweigs autobiografischem Zeitgemälde „Die Welt von Gestern“ Parallelen zu unserer derzeitigen weltumspannenden Coronakrise?
Ich denke, die Krise ist ja eher der Normalzustand. Wir haben das nur lange Zeit verdrängt und das letzte Jahr hat uns das wieder ins Gedächtnis gerufen. Wenn ich an die Generation meiner Großeltern denke, die ihre Kindheit und Jugend Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts verlebt haben, das war ja eine sehr bewegte und entbehrungsreiche Zeit und blieb es bis lange nach dem Krieg. Wir waren in den letzten Jahrzehnten in unserer scheinbaren Ruhe vergleichsweise privilegiert.
Sie sind in Altaussee aufgewachsen, welche Erinnerungen verbinden Sie an diese Zeit?
Es war meine Kindheit, eine spannende und unbeschwerte Zeit, die mich sehr geprägt hat. Auf der einen Seite war es sehr traditionell und von einer hohen Geborgenheit. Aber das große Leben und die weite Welt haben immer auch hereingeweht. Manche Ecken sehen ja heute noch ganz genauso aus wie damals. Ganz besonders, wenn es regnet und die Wolken tief in den Bergen hängen.
Wie viel Zeit verbringen Sie heute noch in Altaussee?
Wenn ich nicht arbeite, bin ich fast immer in Altaussee, schon seit Jahrzehnten. Deswegen war ich dann auch den ganzen letzten Sommer dort. Ich habe das sehr genossen. Altaussee ist immer mein Rückzugsort gewesen – der Platz, an dem ich mich am wohlsten gefühlt habe. Da gehöre ich hin.
Wann war für Sie klar, dass Sie Schauspieler werden wollen?
Das war mir relativ früh klar, ich wollte auch nie etwas anderes werden. Ich habe schon als Kind auf dem Dachboden Theater gespielt.
Haben Sie Ihre Eltern dabei gefördert?
Sie haben mir zumindest keine Steine in den Weg gelegt, auch wenn es mein Vater sicher gern gesehen hätte, wenn ich Jus studiert hätte. Aber letztendlich wollten sie, was alle Eltern für ihre Kinder wünschen, dass ich meinen Weg gehe.
Ihr Studium an der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst dauerte nur kurz. Sie waren 20 Jahre alt, als Ihre damalige Freundin und spätere Frau Karin Ihren Sohn Christian zur Welt gebracht hat. War es schwierig, in so jungen Jahren die Verantwortung für eine Familie zu haben und gleichzeitig die Karriere als Schauspieler voranzutreiben?
Das war normal, ich möchte das jetzt gar nicht verklären. Ich wollte eine eigene Familie und ich wollte Schauspieler sein. Danach habe ich mein Leben ausgerichtet und bin nicht zu viele Kompromisse eingegangen. Das gilt eigentlich bis heute.
Sie waren mit Ihrer Frau Karin bis zu ihrem Tod im Jahr 1992 verheiratet. Sie war Regisseurin und Drehbuchautorin, wie erinnern Sie sich an Ihr gemeinsames Künstlerleben zurück?
Wir haben uns sehr eng ausgetauscht und sie war immer an meinen künstlerischen Entscheidungen ganz direkt beteiligt, sie war ja auch genauso betroffen davon. Ich war viel unterwegs, bin abends oft aufgetreten, das kann man als Familie nur gemeinsam tragen. Wir sind ja sehr jung Eltern geworden, da mussten früh einige Entscheidungen getroffen werden. Später hat sie dann ihre Projekte umgesetzt, da war ich natürlich auch mehr als nur ihr Gesprächspartner.
Was war als Schauspieler Ihre erste Rolle und welche Erinnerungen verbinden Sie damit?
Mit Shakespeare fing es an. Das war der Claudio in „Maß für Maß“ am Landestheater in Tübingen. Der Intendant inszenierte selber und so hatte ich einen guten Einstieg, aber ich blieb nicht lange. Von Tübingen aus ging es dann schnell nach Salzburg, Düsseldorf und Wien. Ich hatte Glück, immer wieder.
1981 spielten Sie Hendrik Höfgen in István Szabós „Mephisto“. Kann man sagen, dass das als Schauspieler international Ihr Durchbruch war?
Auf jeden Fall. Diese Arbeit hat mir alle Türen geöffnet und durch einige bin ich auch durchgegangen. Der Film läuft ja bis heute immer wieder im Fernsehen in den dritten Programmen oder auf Festivals, ich finde zu Recht. Über manches ist ja die Zeit hinweggegangen, „Mephisto“ funktioniert auch heute noch.
Sie arbeiteten auch für „Oberst Redl“ und „Hanussen“ mit István Szabó zusammen. Alle drei Filme wurden für den Oscar nominiert. „Mephisto“ erhielt den Oscar in der Kategorie bester fremdsprachiger Film. Wie war die Zusammenarbeit mit diesem Regisseur?
Wir verstehen uns auf eine besondere Art und Weise, ohne dass wir viele Worte darum machen müssten, nicht nur künstlerisch. István Szabó ist ein Lebensfreund geworden und umso schöner war es, dass wir Ende 2019 erneut zusammengearbeitet haben. Der Film mit dem Titel „Abschlussbericht“ hatte in Budapest kurz vor der Pandemie Premiere und wird hoffentlich bald in die Kinos kommen, wenn das wieder möglich ist.
Sie haben bei den Filmen „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ (1989) und „Mario und der Zauberer“ (1994) selber Regie geführt. Wann haben Sie sich erstmals gedanklich damit auseinandergesetzt, auch das zu machen und was gefällt Ihnen daran?
Ich bin ein Schauspieler, der nicht nur Rollen spielt, sondern ich muss mich mit dem Film oder dem Stück als Ganzem identifizieren können. Wenn ich das nicht kann, dann mache ich es auch nicht. Insofern war der Schritt zum Regieführen schon lange vorbereitet. Ich übernehme gern die gesamte Verantwortung für eine Sache.
Sie haben sieben Jahre lang in Salzburg den Jedermann gespielt, eine Rolle, die jeden Schauspieler adelt. Was hat Ihnen diese Rolle bedeutet?
Der Salzburger Jedermann ist einerseits ein
Alleinstellungsmerkmal, insofern geht es einem schon gut damit, solange man ihn spielt. Auf der anderen Seite ist man immer auch eine Attraktion, nämlich der Faschingsprinz der Stadt und das jahrelang. Deshalb kann man dann auch ganz froh sein, „wenn die Sach ein End hat“ – um mit Hofmannsthal zu sprechen.
Sie haben im James-Bond-Film „Sag niemals nie“ mitgewirkt, für „Jenseits von Afrika“ erhielten Sie einen Golden Globe und eine Oscarnominierung. Sie inszenierten an der Oper Köln Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“. Man hat das Gefühl, im Bereich Bühne und Film haben Sie nichts ausgelassen. Gibt es dennoch etwas in diesem Bereich, was Sie reizen würde?
Schwer zu sagen, zwei, drei Dinge gibt es da sicher noch, die irgendwie unerlöst sind. Aber das ist auch ganz gut so. Ich hüte mich davor, jetzt noch irgendwelche Wünsche zu äußern. Ich hatte so viele gute Möglichkeiten, da verbietet sich das. Wichtig ist es vielmehr, offen zu bleiben. Man darf nichts erzwingen wollen, was passieren soll, wird vorbeikommen!
Was ist für Sie der große Unterschied zwischen Bühne und Film? Was machen Sie lieber?
Das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Im Theater muss ich etwas veröffentlichen, es muss an das Publikum vor Ort adressiert werden, manchmal auch mit Nachdruck. Film funktioniert ganz anders, da kommt es vielmehr auf das Ausreizen von Empfindungen an. Irgendjemand hat mal gesagt „Das Theater war meine Ehefrau, der Film meine Geliebte“, das könnte ich wohl auch unterschreiben. Ich bin bald fünfzig Jahre am Burgtheater.
Was war für Sie persönlich Ihre wichtigste Rolle?
Das ist immer die, die ich gerade spiele. Anders würde das für mich nicht funktionieren. Das bin ich dem Publikum schuldig, denn das hat genau an dem Abend Premiere, auch wenn es bereits die 42. Vorstellung ist. Ich habe an jeder einzelnen Aufführung große Freude.
Sie lehren als Professor am Max Reinhardt Seminar in Wien. Was möchten Sie Ihren Studenten mitgeben?
Mir ist es immer wichtig, dass alle meine Schülerinnen und Schüler sich selber entdecken und entwickeln, eigene Erfahrungen machen. Darauf muss alles abzielen. Kunst muss sich immer in gelebtem Leben reflektieren, mit Kopien kommt man da nicht weiter.
Das Wettrüsten der Streamingdienste kennt kein Ende. Fast schon monatlich erscheint ein neuer Anbieter. Wie stehen Sie Netflix und Co. gegenüber?
Ich sehe das sehr entspannt, wenn es die Arbeitsmöglichkeiten für Schauspieler erweitert, dann ist das erst mal gut. Und mit gut erzählten Geschichten haben uns das öffentliche und das private Fernsehen ja die letzten Jahrzehnte auch nicht gerade verwöhnt.
Schauen Sie selbst Filme oder Serien über Streamingdienste?
Hin und wieder, wenn ich auf etwas Besonderes aufmerksam gemacht werde. Grundsätzlich bin ich eher Zeitungsleser und Nachrichtenkonsument. Und ich habe im letzten Jahr wieder angefangen, viel zu lesen. Einfach nur so, zum persönlichen Genuss. Klassiker, auch Werke, die ich früher schon einmal gelesen hatte. Kann ich sehr empfehlen!
Kommen wir noch einmal auf Stefan Zweig zurück. In „Die Welt von Gestern“ blickt er zurück auf sein Leben oder „drei Leben“, wie er in der Einleitung betont. Geht es Ihnen als erfolgreicher Künstler da genauso? Wie blicken Sie zurück?
Ich schaue, wenn, dann sehr gelassen auf mein Leben zurück. Aber ich vermeide es, zu häufig in der Vergangenheit zu schwelgen. Mein Schreibtisch liegt voll mit Projekten, das finde ich spannender und wichtiger. Ich lebe nicht für die Dinge, die hinter mir liegen, sondern für die, die noch kommen.
Was wünschen Sie sich angesichts der angespannten Lage durch die weltweite Coronakrise für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir alle die neue Erfahrung der Entschleunigung nicht so schnell vergessen und verdrängen, wenn dann wieder die unendlich vielen kleinen und großen Ablenkungen und Fluchten möglich sind. Wir sollten aufmerksamer in unsere direkte Umgebung horchen. Vieles, nach dem wir uns sehnen, gibt es schon längst, wir haben nur verlernt, es wahrzunehmen.