People | 25.11.2019
"Ich bin ein Theaterkind"
Aufgrund der Bemühungen ihres Vater, ihr auszureden, das von ihm und seiner Frau gegründete Theater eines Tages zu übernehmen, beabsichtigte Julia Schafranek ihrer zweiten großen Leidenschaft, dem Reitsport, beruflich nachzugehen. Doch das Schicksal wollte es anders. Der Vater verstarb plötzlich, als Julia Schafranek 23 Jahre alt war, und ihre Mutter kämpfte zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer schweren Krebserkrankung, der sie wenig später erlag. Als ihre erste Tochter gerade drei Monate alt war, stand für Julia Schafranek die Entscheidung an, das Theater ihrer Eltern nun doch weiterzuführen oder nicht ...
OBERÖSTERREICHERIN: Frau Schafranek, Ihnen wurde die Liebe fürs Theater bereits in die Wiege gelegt, Ihre Eltern sind die Gründer des Theaters. War es für Sie immer klar, das Theater eines Tages zu übernehmen oder gab es andere Berufs- wünsche oder -pläne?
Ich bin tatsächlich ein Theaterkind. Ich habe eigentlich immer empfunden, dass das Vienna's English Theatre und ich wie Geschwister aufgewachsen sind. Ich habe viel Zeit bei den Proben und hinter der Bühne bei meiner Mutter in der Garderobe verbracht und bin nach der Schule ins Theater gegangen, um meine Aufgaben zu machen. Ich habe schon als Teenager viel mitgearbeitet und meinen Eltern auch gesagt, dass ich das Theater gerne eines Tages übernehmen würde. Mein Vater hat sich allerdings sehr bemüht, es mir auszureden, sodass ich mich schließlich für meine zweite Leidenschaft – den Reitsport – entschied.
Ich war seit meinem 13. Lebensjahr begeisterte Springreiterin und entschloss mich, mit meinem damaligen Freund und späteren Ehemann, einen Reitstall zu betreiben. Doch das Schicksal wollte es anders: Mein Vater verstarb plötzlich und unerwartet, als ich 23 Jahre alt war. Meine Mutter kämpfte zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer schweren Krebserkrankung und die ärztlichen Prognosen gaben ihr höchstens ein Jahr. Meine erste Tochter war damals gerade drei Monate alt, ich musste mich entscheiden, ob ich nun doch das Theater meiner Eltern weiterführen wollte ... Und wie man nun 28 Jahre später sieht, habe ich mich dafür entschieden!
Warum wollte Ihr Vater Sie vom Theater fernhalten?
Der Grund, warum mein Vater mich davon abbringen wollte war – und das verstehe ich erst heute – der ewige Kampf ums Überleben, sprich: um die Subventionen. Wir können eine noch so ausgezeichnete Auslastung haben und noch so sparsam arbeiten, ohne Subventionen ist ein Theater nicht überlebensfähig. Man muss jedes Jahr erneut darum zittern, ob diese genehmigt werden. Und das auch noch nach einer 56-jährigen Erfolgsgeschichte.
Was steht in der kommenden Theatersaison 2019/20 im Vienna’s English Theatre an? Was sind die Höhepunkte?
Das nächste Highlight ist die Premiere von Agatha Christies zum Kult gewordenen Klassiker "The Mousetrap" am 5. November 2019. Das Stück läuft seit 1952 ununterbrochen im Londoner Westend und ist das am längsten gespielte Stück der Welt. Im neuen Jahr folgt die magische und preisgekrönte One-Man-Show „A Regular Little Houdini“ von und mit Daniel Llewelyn-Williams. Im März kehrt das berührende Hit-Musical „Next to Normal“, ausgezeichnet mit dem Pulitzer Preis für bestes Drama, nach dem großen Erfolg der letzten Saison auf unsere Bühne zurück. Zum Saisonabschluss zeigen wir im Mai und Juni 2020 William Shakespeares ewig aktuelles Zaubermärchen „A Midsummer Night’s Dream“.
Darüberhinaus bringen wir im April Gastspiele der beliebten English Lovers Improvs und einer Produktion in spanischer Sprache mit "Soles del Sur" – unser erstes spanisches Stück seit Bestehen unserer Bühne. Von 7. bis 9. Mai 2020 präsentiert der Abschlussjahrgang der Vienna's English Theatre Acacemy seine erste abendfüllende Theaterproduktion.
Welche internationalen Stars standen in Ihrem Theater bereits auf der Bühne?
Meinen Eltern ist es gelungen, viele Uraufführungen bedeutender englischer und amerikanischer Autorinnen und Autoren, darunter Tennessee Williams und Edward Albee nach Wien zu bringen.
Der hervorragende Ruf des Theaters hat auch Schauspielerinnen und Schauspieler wie Judi Dench, Anthony Quinn, Linda Gray, Larry Hagman, Leslie Nielsen, Rue McClanahan und sogar Prinzessin Gracia von Monaco zu Gastspielauftritten gelockt. Bei französischen Aufführungen waren Jeanne Moreau, Annie Girardot, Vittorio Gassmann und Jean Paul Belmondo u.a. zu Gast.
Sie wurden 2004 mit dem renommierten Wiener Theaterpreis „NESTROY“ beehrt, mit dem seit dem Jahr 2000 herausragende Leistungen an den Wiener und anderen österreichischen Bühnen ausgezeichnet werden. Eine große Ehre und sicherlich ein Höhepunkt Ihrer Karriere?
Die Verleihung des Nestroy-Preises hat mir sehr viel bedeutet, da ich die Auszeichnung auch posthum für meine Eltern entgegengenommen habe, die unglaubliche Pionierarbeit geleistet haben. Das Theater wurde 1963 von ihnen gegründet: Meine Mutter Ruth Brinkmann war amerikanische Schauspielerin und mein Vater Franz Schafranek Regisseur und Dramaturg. Beide haben das Vienna’s English Theatre zur ältesten und erfolgreichsten englischsprachigen Bühne in Kontinentaleuropa gemacht. Vienna's English Theatre ist ihr Lebenswerk; ich sehe es als Privileg, dieses kulturelle Vermächtnis weiterführen zu können, und tue dies mit Freude und Stolz, und ich denke – auch mit großem Erfolg!
Ihr neuestes Projekt ist die im letzten Jahr eröffnete Vienna’s English Theatre Academy – kurz VETA –, die erste englischsprachige Schauspielschule Wiens, im Vienna’s English Theatre. Wie kam es dazu?
Schon meine Eltern haben 1966 die Schultourneen ins Leben gerufen um Schülerinnen und Schülern in ganz Österreich Theater und die englischen Sprache näherzubringen. Noch heute besuchen unsere jungen englischsprachigen Schauspieler mit eigenen, auf die Schulstufen abgestimmten Stücken, jährlich ca. 1.700 Schulen in ganz Österreich und erreichen damit ca. 200.000 Jugendliche. Hier sei auch erwähnt, dass Oberösterreich unser meist bespieltes Bundesland ist – ein großes Dankeschön an dieser Stelle an alle engagierten oberösterreichischen Lehrkräfte, die mit ihren Klassen zu unseren Vorstellungen und Workshops kommen!
2010 habe ich "Showtime", die erste englischsprachige Theaterschule für Kinder und Jugendliche von vier bis 18 Jahren in Wien gegründet. Die Kinder werden spielerisch in englischer Sprache in Schauspiel, Tanz und Gesang unterrichtet und führen jedes Jahr zum Kursabschluss ein Musical auf der Bühne des Vienna's English Theatre auf. Diese Kurse fördern nicht nur das Sprachgefühl, sondern auch das Selbstbewusstsein und den Teamgeist.
2018 erfolgte dann die Eröffnung der VETA, eine viersemestrige, professionelle Schauspielausbildung für Erwachsene. Diese Ausbildung soll es unseren internationalen und einheimischen Studentinnen und Studenten ermöglichen, sich dem heutigen Markt anzupassen und für eine internationale Karriere gerüstet zu sein. Durch die Anbindung an das Theater können sich die jungen Schauspieler schon auf unserer Bühne die ersten Sporen verdienen. Bisher spielten bei uns nahezu ausschließlich „Native Speakers“ aus dem englischen Sprachraum. Je nachdem, was der nahenden Brexit uns bescheren wird, möchten wir darauf vorbereitet sein und daher auch in der Lage sein, auf die von uns ausgebildeten Schauspieler zurückgreifen können.
Was wird angeboten und wie lange dauert der Schauspiellehrgang?
Wir bieten bei VETA 35 Wochenstunden Unterricht mit "working professionals" in Schauspiel, Körperarbeit, Stimme, Tanz und Gesang. Der gesamte Lehrgang dauert zwei Jahre und wird mit der Verleihung eines Diploms beendet. Wir haben Kooperationen mit Schauspielschulen in London, wo unsere Absolventinnen und Absolventen, wenn sie möchten, noch einen Master machen können.
Wie groß sind die Chancen, einen Platz zu bekommen? Wird unter den Bewerbern streng selektiert, wie man es von Schauspielschulen gewohnt ist?
Das Auswahlverfahren besteht aus mehreren Auditions – am Ende werden 15 Studentinnen bzw. Studenten in ein Jahrgangsensemble aufgenommen.
Wir hatten von Anfang an guten Zuspruch, sodass wir bereits im ersten Jahr qualitativ streng selektieren konnten. Es stellte sich heraus, dass offenbar ein Bedarf an einer englischsprachigen Schauspielausbildung hierzulande besteht. Unsere Studenten kommen sowohl aus dem Inland als auch aus dem europäischen Ausland, wir bilden zurzeit Studentinnen und Studenten aus zehn Nationen aus.