People | 04.09.2017
„Frauen werden unterschätzt“
Ob im Marilyn Monroe-Style, als coole Lady mit Bikerjacke oder im Gwen Stefani-Look – beim Covershooting mit der OBERÖSTERREICHERIN beweist Künstlerin Natalie Ananda Assmann absolute Vielseitigkeit. Und Kunst begleitet die 29-jährige Regisseurin, Schauspielerin und Performerin, die seit elf Jahren in Wien lebt, fast ihr ganzes Leben lang. Kein Wunder – der Vater der quirligen Blondine ist kein Geringerer als der bekannte Kunsthistoriker und Kulturmanager Peter Assmann. Im Interview erzählt Natalie Ananda Assmann, warum sie sich in ihren Projekten für Feminismus und Menschenrechte einsetzt.
Sie haben eine Tanzausbildung am Bruckner Konservatorium in Linz gemacht und eine Schauspielausbildung in Wien absolviert. Was hat Sie dazu bewogen, ins Künstlermetier zu gehen?
Dass ich schon im Alter von fünf Jahren mit der Kunst in Verbindung kam, habe ich meiner Mutter zu verdanken. Ich war ein schwieriges Kind, sehr emotional und schwer zu handeln. Um Dampf ablassen zu können, hat mich meine Mutter im Kindergartenalter in einer Schauspielgruppe im Kinderkulturzentrum „Kuddelmuddel“ in Linz angemeldet, zusätzlich war ich in einer Ballettklasse am Bruckner Konservatorium. Das hat geholfen, denn ab diesem Zeitpunkt war ich das liebste und netteste Kind. Seither bin ich künstlerisch tätig.
Inwieweit waren Sie durch Ihren Vater, der ein bekannter Kulturmanager ist, vorbelastet?
Mein Vater war sicher sehr prägend für mich. Bei uns zu Hause sind KünstlerInnen ein- und ausgegangen. Wir waren sehr viel unterwegs, und ich bin praktisch im Museum bei Vernissagen und Ausstellungen aufgewachsen.
Sie haben in Wien eine Schauspielausbildung mit Lehrenden aus New York und London absolviert und anschließend im Rahmen von Projekten in Brasilien, Indien und Israel gearbeitet. Wie hat Sie diese Internationalität geprägt?
Reisen erweitert den Horizont und gibt einem viele neue Impulse. Aber ich habe auch gesehen, wie andere Länder funktionieren und welche Machtverhältnisse dort herrschen. Es war sehr spannend, in andere Gesellschaftsstrukturen einzutauchen. In Brasilien habe ich ein Tanzprojekt mit Kindern in den Favelas gemacht. Das Verhältnis zwischen Arm und Reich ist dort ganz extrem. Das war sicher einer meiner prägendsten Aufenthalte. Wenn man so etwas erlebt, nimmt man die Probleme, die man als weiße privilegierte Österreicherin hat, ganz anders wahr.
Sie sind Schauspielerin, Performerin, Regisseurin – was machen Sie am liebsten?
Gute Frage (lacht). Da kann ich mich nicht entscheiden. Ich folge meinen Impulsen, und es kommt auch immer darauf an, wie und mit wem ich arbeite. Wenn ich mit Regisseurinnen arbeite, liebe ich es, wenn sie sehr offen sind und mich mitgestalten lassen. Wenn ich selber Projekte mache, dann gefällt es mir, zu gestalten und Welten zu schaffen.
Wie ist der Alltag als Künstlerin? Ist es schwierig, an Jobs zu kommen?
Ich glaube, die größte Herausforderung für freischaffende Künstlerinnen ist es, mit der Ungewissheit zu leben. Man weiß oft nicht, wann der nächste Job kommt, und es gibt immer wieder Zeiten, in denen man nicht direkt an einem Projekt arbeitet. Aber ich brauche auch diese „Ruhephasen“, um Inspiration zu finden und Ideen zu kreieren. In unserem Job gibt es wenig Sicherheit.
Viele Schauspielerinnen oder Regisseurinnen haben ihren Durchbruch erst, nachdem Sie im Fernsehen präsent waren. Wie ist das bei Ihnen?
Wenn der große Durchbruch kommt, wird man häufig auf eine ganz spezielle Rolle reduziert. In unserem Business wird man sehr schnell kategorisiert, das finde ich ein bisschen schwierig. Im Idealfall hofft man auf geile Projekte, bei denen man sein künstlerisches Potenzial ausschöpfen kann. Das bedeutet für mich Durchbruch. Aber natürlich auch, wenn unsere Arbeit Anklang findet. KünstlerInnen brauchen Aufmerksamkeit und eine Sichtbarkeit für das, was sie machen.
Wie schwierig ist es in Österreich, als Frau im künstlerischen Bereich Fuß zu fassen?
Das Verhältnis Frau:Mann ist immer noch nicht ausgeglichen. Es sind zwar mittlerweile mehr Regisseurinnen vertreten, aber es gibt im Theaterbereich im deutschsprachigen Raum nach wie vor viel weniger Intendantinnen, Dramaturginnen oder Autorinnen. Da ist die Kluft noch sehr groß.
Woran liegt das?
Dass wir immer noch in einem sehr patriarchalisch geprägten System leben, in dem Frauen für die Kinderbetreuung zurückstecken müssen. Aber auch die Einkommensschere muss geschlossen werden. Frauen verdienen bei uns in Österreich immer noch mehr als 30 Prozent weniger als Männer. Es gibt grundsätzlich weniger Chancen für Frauen, das ist allerdings ein strukturelles Problem.
Sie bezeichnen sich selbst als Feministin? Was bedeutet Feminismus für Sie?
Feminismus bedeutet für mich die Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Das heißt, dass Frauen sozial, gesellschaftlich und politisch die gleichen Chancen wie Männer haben. Vor allem bedeutet Feminismus aber auch eine starke Solidarität mit anderen Frauen. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Ich finde es problematisch, dass der Feminismus derzeit kapitalisiert wird. Feminismus ist keine Marke, sondern eine Bewegung. Es reicht nicht, ein Shirt anzuziehen, auf dem „Girlpower“ steht. Feminismus ist eine Bewegung, die versucht, die Gesellschaft grundlegend zu ändern.
Ist das überhaupt möglich? Wegen der Einkommensschere wird schon ewig herumdiskutiert. Warum lässt sich das nicht ändern?
Weil es den Männern sehr schwer fällt, Macht abzugeben.
Feministinnen werden vielfach als hysterische Frauen abgetan. Woran liegt das?
Das ist ein sehr einseitiges, klischeehaftes Bild. Es gibt Frauen, die über Generationen hinweg sehr wichtig waren für die feministische Bewegung und dabei sehr kämpferisch vorgegangen sind. Diese kämpferischen Frauen wurden oftmals als Kampflesben oder Zicken abgetan.
Wer sind Ihre Vorbilder?
Die Amerikanerin Judith Butler ist ein Vorbild, aber auch Feministinnen wie Angela Davis oder Hannah
Arendt, die aus einem sehr menschenrechtlichen Kontext arbeiten bzw. gearbeitet haben.
Braucht es mehr Frauen, die sich auflehnen und auf den Tisch hauen?
Frauen sind die Revolution, und es braucht, wie meine Kollegin Stefanie Sargnagel immer sagt, das Matriarchat. Vor allem brauchen wir definitiv auch Männer, die uns unterstützen. Denn leider gibt es noch immer viel zu wenige Männer, die sich als Feministen bezeichnen. Feminismus bedeutet, die Strukturen aufzubrechen und Macht zu verteilen. Viele Menschen haben Angst davor und wollen das nicht.
Sie unterstützen auch das Frauenvolksbegehren, das 2018 auf die Beine gestellt werden soll. Was sind die dringlichsten Forderungen?
Eine der dringlichsten Forderungen ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Verschiedenen Studien zufolge wird sich die Einkommensschere erst im Jahr 2058 schließen. So lange brauchen wir nicht mehr zu warten. Auch im Bereich der Kinderbetreuung muss sich einiges ändern. Nicht umsonst gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen. Ganz wichtig ist es auch, gegen häusliche und strukturelle Gewalt vorzugehen. Immerhin ist in Österreich jede fünfte Frau davon betroffen.
Von 15. bis 17. September findet in Schärding Ihr erstes großes Festival zur Verbesserung der interkulturellen Verständigung statt. Erste Workshops laufen ja bereits. Was erwartet uns an den drei Festivaltagen?
Von 15. bis 17. September bieten wir drei Tage lang ein sehr vielfältiges Festivalprogramm. Es reicht von Performances, Theaterstücken, Filmscreenings und Konzerten bis hin zu Diskussionsreihen. Lokale KünstlerInnen sind genauso eingebunden wie KünsterInnen und Initiativen von außen. „Carneval of Fear“ heißt übersetzt „Karneval der Angst“, und es geht darum, kollektive Ängste durch Kunst und Kultur in positiven Output umzuwandeln.
Warum haben Sie Schärding als Location ausgewählt?
Während der großen Fluchtbewegung 2015 war Schärding als Grenzstadt ein Hotspot. Bei „Carneval of Fear“ performen auch KünstlerInnen mit Fluchthintergrund. Einige der KünstlerInnen kommen aus Syrien, Irak, Afghanistan und dem Iran. In ihren Herkunftsländern passieren tagtäglich Menschenrechtsverletzungen.
Sie setzen sich in Ihrer Arbeit für Menschenrechte ein. Was treibt Sie an?
Zuerst der Schmerz, daraus resultierend die Wut und zuletzt die Hoffnung darauf, dass sich etwas ändern wird. Vor allem aber der Gedanke an eine solidarische Gesellschaft.
Wurden Sie auch von Ihrer Mutter, die als Geschäftsführerin bei der Caritas in Linz tätig ist, geprägt?
Absolut! Meine Mutter setzt sich seit Langem auch für Frauen und ihre Rechte ein. Meine Eltern sind beide sehr kämpferische Menschen – das hat mich sehr geprägt.
Was möchten Sie in Ihrem Leben in jedem Fall noch machen?
Ich möchte eine Zeit lang im Ausland leben, am liebsten in New York. Das ist für eine Künstlerin einfach die Stadt, um sich Inspiration zu holen. Und auch Teheran steht ganz oben auf meiner Prioritätenliste.
Sie sind blond, hübsch, quirlig und doch sehr tiefsinnig und aktionistisch. Sind Menschen überrascht, wenn sie Sie näher kennenlernen?
Mir passiert wahrscheinlich das, was vielen Frauen passiert – egal, ob sie blond oder rothaarig sind –, ich werde unterschätzt. Ich glaube, wir Frauen werden permanent unterschätzt.