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People | 10.05.2021

Den Fahrstil vom Papa

Vincent Kriechmayr ist einer der besten Speed-Fahrer im Weltcup. Heuer kürte er sich bei der Weltmeisterschaft in Cortina d’Ampezzo zum Doppelweltmeister und holte auch die kleine Kristallkugel im Super-G nach Hause. Mit uns hat der sympathische Gramastettner über Rituale vor dem Start, den Mythos der „Streif“ und sein Aufwachsen im Mühlviertel gesprochen.

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© Christian Maislinger

Ich will nicht nur aufs Podest fahren, ich will ganz oben stehen“, betonte Vincent Kriechmayr in einem Interview mit der OBERÖSTERREICHERIN im Jahr 2016. Und das ist dem zielstrebigen Ski-Profi auch eindrucksvoll gelungen. Nach Silber im Super-G und Bronze in der Abfahrt in Åre 2019, krönte er sich heuer in Cortina d’Ampezzo mit gleich zwei Goldenen im Super-G und in der Abfahrt und holte sich obendrein die kleine Kristallkugel im Super-G. Vieles hat sich verändert seit diesem letzten Interview: Material-
technisch hat er von Fischer zu Head gewechselt, liebestechnisch lebt er mit Skirennläuferin Michaela Heider zusammen. Eines hat sich aber auch nach fünf Jahren nicht geändert: Vinc ist noch immer genauso sympathisch und bodenständig wie damals. Das können wir nach unserem Interview während eines kurzen Zwischenstopps des Skistars in Gramastetten Mitte April bestätigen. 

 

Herr Kriechmayr, wie geht es Ihnen? Was machen Sie aktuell?

Es geht mir sehr gut. Ich bin gesund, das ist das Wichtigste. Zurzeit bin ich ein paar Tage in der Heimat, im Mühlviertel. Das ist auch recht schön. 

 

Was macht ein Skirennläufer eigentlich im Sommer?

Bis vorige Woche hatte ich Materialtests. Ich habe versucht, die winterlichen Verhältnisse in Österreich auszunützen und neue Schi und Schischuhe zu testen. Außerdem habe ich viele Termine wahrgenommen, die ich im Winter nach hinten verschoben habe. Und ab nächster Woche beginnt mein Sommertraining. Es startet mit Konditionstraining und danach steht bereits wieder die Vorbereitung für den kommenden Winter am Programm. 

 

Bei einem Interview in der Oberösterreicherin im Jahr 2016 haben Sie gesagt, Sie möchten zu den besten der Welt gehören. Fünf Jahre später kann man eindeutig behaupten, Sie haben Ihr Ziel erreicht. Wo wollen Sie in fünf Jahren sein?

Ich möchte auf jeden Fall gesund bleiben und versuchen, mein Maximum auszuschöpfen. Das bedeutet, beständig vorne um Siege und Medaillen mitzukämpfen. Das ist mein Ziel.

 

Sie haben im Winter in zwei Speed-Disziplinen eine Goldene Medaille eingefahren, wo donnern Sie am liebsten die Piste runter?

In Beaver Creek, Colorado, da habe ich auch mein erstes Abfahrtsrennen gewonnen. Das ist eine coole Strecke, sehr anspruchsvoll und irrsinnig schön, aber ganz anders als die Alpen. Voriges Jahr war es leider aufgrund der Pandemie nicht möglich, in Beaver Creek zu fahren, aber ich freue mich jetzt schon wieder sehr,  dorthin zu kommen.

 

Die Streif ist wohl die bekannteste und härteste Abfahrt. Wie war es für Sie, das erste Mal die Streif zu fahren?

Man hat schon ein ungutes Gefühl, wenn man das erste Mal die Streif runterfährt und kennt ja den Mythos unter uns Athleten. Die Streif hat schon viele Verletzungen gefordert und viele Karrieren beendet. Sie ist unglaublich schwierig und fordernd. Das allererste Mal habe ich mir am Start noch vehement eingeredet, dass ich mich nicht einschüchtern lassen werde, aber auf der Strecke hat es dann anders ausgesehen. Wenn ich mich richtig erinnere, war ich im Ziel sechs Sekunden hinter der Bestzeit. Einige Kurven bin ich wohl aus Angst nur ge-
driftet, aber es wird von Jahr zu Jahr besser. Man sollte viel Respekt vor der Streif haben und darf sie in keinem Fall unterschätzen.

 

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© GEPA pictures

 

Bei einem Skirennen zählt jede Hundertstelsekunde. Wie schafft man es, am Ende tatsächlich der Schnellste zu sein?

Es sind viele Faktoren, die dabei mitspielen. Schlussendlich ist es wichtig, dass man ein gutes Material hat und in Bestform ist. Das Entscheidende ist an wichtigen Renntagen jedoch der Kopf, dass man mental gut in Form ist. Dann ist es einfacher, in das Rennen zu gehen. Ich habe keinen Mentaltrainer, aber natürlich Tricks und auch persönliche Ticks, die mir dabei helfen. Jeder geht an diese Sache anders heran. 

 

Was machen Sie direkt vor dem Start? Gibt es da so etwas wie ein Ritual?

Ich habe zwar nicht so offensichtliche Rituale und Ticks wie etwa Tennisstar Rafael Nadal, aber ich bereite mich immer gewissenhaft und auf die gleiche Weise auf ein Rennen vor. Vor dem Start versuche ich, den Lauf und das Rennen zu visualisieren. Damit keine Überraschungen auf mich warten, was Piste oder Kurssetzung betrifft, präge ich mir alles bis ins letzte Detail ein. Hier gilt es, wiederholen, wiederholen und noch einmal wiederholen, bis es sich total eingebrannt hat. Das ist für mich das Wichtigste.

 

Ihre Eltern sind Skilehrer gewesen. Inwieweit hat Sie das geprägt oder Ihre Karriere beeinflusst?

Ich habe eine sehr enge Verbindung zu meinen Eltern. Sie waren mit Sicherheit der entscheidende Faktor, dass ich dort hingekommen bin, wo ich jetzt bin. Ohne meine Familie wäre ich nirgends. Aber mein Vater begleitet mich nicht zu den Rennen, wie das zum Beispiel bei Marcel Hirscher der Fall war. Das wäre aufgrund der vielen Arbeit, die er im Sommer am Bauernhof und im Winter als Skilehrer hatte, auch zeitlich gar nicht möglich gewesen. Mein Vater hat mir das Skifahren beigebracht, aber er hat mir auch immer sehr viel Freiraum gelassen. Meinen Fahrstil habe ich definitiv von ihm. 

 

Das heißt, Ihre Familie fiebert immer vor dem Fernseher mit Ihnen mit?

Ja, sie sind sehr fanatisch, wenn es ums Zuschauen geht. Aber mir geht es genauso, wenn meine Freundin ein Rennen fährt. Da ist man schon ziemlich aufgeregt. Natürlich reden wir in der Familie über das Skifahren allgemein, aber nicht darüber, was ich mir vorgenommen habe oder welches Material ich fahre. Meine Familie und meine Partnerin sind mir eine große Stütze, weil sie mir immer in allen Belangen zur Seite stehen.

 

Sie haben einen Zwillingsbruder, der die elterliche Landwirtschaft übernommen hat und eine Schwester, die Freeriderin ist. Gibt es so etwas wie Neid auf den berühmten Bruder?

Nein, sie freuen sich irrsinnig für mich und das ist auch umgekehrt so. Ich freue mich sehr für meinen Bruder, dass er so viel Leidenschaft für die Landwirtschaft hat und auch, wenn meine Schwester im Freeriden erfolgreich ist. Zwischen uns Geschwistern gibt es keinen Neid. Das war auch unseren Eltern in der Erziehung sehr wichtig.

 

Schauen Sie Ihrem Zwillingsbruder zum Verwechseln ähnlich? Könnte er zum Beispiel Pressetermine für Sie wahrnehmen?

Nein, überhaupt nicht. Einzig die Haarfarbe ist ähnlich. Außerdem bin ich um einige Kilo schwerer als er. Das würde uns also keiner abnehmen (lacht).

 

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© GEPA pictures

 

Ihre Mutter stammt aus Belgien. Sprechen Sie eigentlich Niederländisch oder Französisch?

Meine Mutter kommt aus dem flämischen Teil Belgiens. Früher habe ich ein bisschen flämisch gekonnt, aber da ich schon relativ früh im Internat war und die Sprache nicht mehr regelmäßig gesprochen habe, ist viel verloren gegangen. Ich verstehe zwar einiges, aber sprechen kann ich leider nur noch Bruchstücke. 

 

Sie sind im Sommer im Mühlviertel aufgewachsen und im Winter in Obertauern, wo Ihre Eltern als Skilehrer gearbeitet haben. Wo waren Sie lieber?

Obertauern war als Kind natürlich wegen meiner Leidenschaft fürs Skifahren unglaublich schön für mich, aber meine Wurzeln liegen im Mühlviertel. Da komme ich her, da gehöre ich hin. Deswegen ist das Mühlviertel auch mein Lieblingsplatz Nummer eins. 

 

Leben Sie noch in Gramastetten oder kommen Sie nur noch zu Besuch?

Meinen Hauptwohnsitz habe ich noch in Oberösterreich, aber aufgrund meiner sportlichen Aktivitäten bin ich vor allem im Sommer sehr viel in Obertauern und habe dort auch meinen Stützpunkt. Damit erspare ich mir sehr viel an Autofahrten und durch die Nähe zu den Bergen habe ich mir dort ein gutes Trainingsumfeld geschaffen. Das ist wichtig, wenn man dem Sport alles andere unterordnet. 

 

Wann wussten Sie, dass Sie den Skisport beruflich machen werden und was war auf Ihrem Weg nach oben von der Förderung her das Wichtigste?

Das ist schwer zu sagen. Als Kind ist der Spitzensport ja noch sehr weit weg. Man hat einfach großen Spaß am Skifahren. Im Alter von zehn Jahren bin ich ins Internat gekommen, da ist alles schon sehr professionell abgelaufen. Aber dass es letztendlich für die Spitze reicht – das war ein Prozess, würde ich sagen. 

 

Wer zählt im Skizirkus zu Ihren Freunden?

Der Großteil meiner Freunde kommt aus dem Skisport. Im Internat war ich ständig unter Skifahrern, dementsprechend ist auch der Freundeskreis. Wir sind eine super Mannschaft und haben eine sehr gute Harmonie. Wir verstehen uns gut und haben auch viel Spaß untereinander, das ist ein wichtiger Faktor. Grundsätzlich ist Skifahren allerdings ein Einzelsport und besser wird man nur durch die Konkurrenz und die Teamkollegen.

 

Inwieweit fehlt Marcel Hirscher im Skizirkus? Meldet er sich nach einem Sieg bei Ihnen? 

Marcel hat den Skisport über so viele Jahre dominiert und auf ein neues Level gebracht. Durch seine herausragenden Leistungen hat er auch alle anderen Athleten besser gemacht. Der Sport ist jetzt auf diesem Niveau, weil Marcel Hirscher da war. Er hat mir zu meinen WM-Medaillen gratuliert, das hat mich sehr gefreut, aber grundsätzlich haben wir wenig Kontakt. Er möchte nach seiner Karriere seine Ruhe haben und das verstehe ich voll und ganz. Ich glaube, er genießt gerade seinen Ruhestand und den hat er sich auch verdient. 

 

Gab bzw. gibt es ein Vorbild, das Sie zu diesen sportlichen Erfolgen gebracht hat?

Was mich dorthin gebracht hat, ist definitiv meine Familie. Als Bub war Hannes Trinkl ein Vorbild für mich, weil er damals der einzige Oberösterreicher war, der im Weltcup mitgemischt hat.

 

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GEPA pictures

 

Bei der ÖSV-Länderkonferenz im Juni plant Präsident Peter Schröcksnadel (79) nach 31 Jahren im Amt die Übergabe an seinen Nachfolger. Was wünschen Sie sich von der- oder demjenigen, der Schröcksnadels Erbe antreten wird?

Ich wünsche mir, dass diese Person, egal ob Mann oder Frau, dieselbe Leidenschaft für den Wintersport an den Tag legt wie Peter Schröcksnadel. Wenn das der Fall ist und der Sport sowie Athleten an erster Stelle stehen, dann bin ich sehr zuversichtlich. 

 

Ihre Freundin Michaela Heider ist selbst als Skirennläuferin im Weltcup aktiv. Gehen Sie manchmal auch gemeinsam Skifahren? 

Wir gehen sehr selten privat Skifahren, weil wir ja ständig unterwegs und ohnehin auf der Piste sind. Aber wenn wir Skifahren gehen, wollen wir eigentlich nur Spaß haben und sehen es nicht als Wettkampf. 

 

Wenn beide Partner im Spitzensport aktiv sind, ist das vermutlich gut für eine Beziehung, weil das Verständnis für den anderen ein besseres ist …

Das stimmt definitiv. Wobei es für uns beide nicht einfach ist, weil wir immer unterschiedlich unterwegs sind. Aber wir versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen und das nötige Verständnis aufzubringen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor.  

 

Wie sehr hat Corona Ihren Alltag als Spitzensportler beeinflusst?

Nicht drastisch! Ich empfinde es als großes Privileg, dass wir heuer überhaupt eine Saison hatten. Andere Sportarten oder auch Berufe konnten nicht ausgeübt werden. Dass einige Rennen nicht abgehalten wurden, hat sich im Rennkalender ausgewirkt. Aber ich habe mir mein Umfeld geschaffen und es war möglich,  jederzeit zu trainieren. Darum konnte ich mich auch trotz Pandemie gut entfalten. 

 

Sie sind Mitglied der Energie AG Sportfamilie, die Spitzensportler unterstützt. Wie wichtig sind Sponsoren abseits vom finanziellen Aspekt? 

Natürlich sind Sponsoren wichtig, da man ja auch ein bisschen Geld verdienen will. Wobei für mich die Energie AG kein Sponsor mehr ist, sondern vielmehr ein Partner, mit dem ich mich auch identifiziere. Die Energie AG unterstützt mich mittlerweile seit elf Jahren, das ist nicht selbstverständlich. Ich sehe mich weniger als Athlet, sondern als Mitarbeiter, der versucht, die Energie AG so gut wie möglich zu repräsentieren. 

 

2022 finden die Olympischen Winterspiele in Peking statt. Mit welchen Zielen fahren Sie dorthin?

Mein Ziel wird ganz klar sein, um Medaillen mitzukämpfen. Ich werde mein Bestes geben und versuchen, im Sommer so hart wie möglich daran zu arbeiten. 

 

Wenn Sie im Mühlviertel daheim sind, gehen Sie auch zum Arbeiten in den Stall und leben am Bauernhof mit. Was machen Sie sonst gern in Ihrer Freizeit?

Eigentlich nix (lacht). Ich habe wenige Hobbys, weil ich dem Sport alles unterordne. Da bleibt wenig Zeit für anderes. Aber wenn ich in der Heimat bin, helfe ich gern mit, weil ich das von Kindesbeinen an so gewohnt bin. Ansonsten versuche ich, mich zu erholen, weil das Training sehr hart ist. Und ich verbringe Zeit mit meiner Familie, meiner Freundin und meinen Freunden. Das genieße ich!