Birgit Minichmayr: Ihre Rolle als Maria Lassnig

Die Schauspielerin über ihre Verkörperung im wahrsten Sinne des Wortes.

5 Min.

© Stadtkino Filmverleih

Eine Frau muss drei Mal so viel schuften wie ein Mann, nur weil sie eine Frau ist“, sagt Maria Lassnig (Birgit Minichmayr), am Boden malend, während ihr jüngerer Geliebter und Wegbegleiter Arnulf Rainer (Oskar Haag) neben ihr aufwacht, sich eine Zigarette anzündet und verkündet, feiern zu gehen, um sie nicht zu stören.

In dieser Szene aus dem Film „Mit einem Tiger schlafen“ wird ersichtlich, was Maria Lassnig ihr Leben lang – täglich, unnachgiebig und in Stille – getan hat: Sie schuftete und brachte ihre Gefühle auf die Leinwand – die einer verlassenen Tochter, einer unverstandenen Künstlerin, stillen Denkerin, feministischen Vorkämpferin und einsamen Malerin, ob in ihrem Atelier in Paris, in New York oder im Kärntner Metnitztal. 

Frau Minichmayr, Maria Lassnig ist vor zehn Jahren gestorben. Haben Sie ihre Bilder, ihre Biografie gekannt, bevor Sie gefragt wurden, ob Sie die Rolle spielen werden?
Ja, ich kannte Maria Lassnig als Künstlerin. Ich kannte sie auch, weil ich mit Michaela und Peter Pakesch (Stiftungsvorstand der Maria-Lassnig-Stiftung; Anm. d. Red.) befreundet bin. Und ich kannte ihre Texte, weil ich 2019 in der Albertina in Wien anlässlich eines Lassnig-Symposiums aus deren Tagebuch vorgetragen habe. Regisseurin Anja Salomonowitz war damals dabei und meinte: „Gut, jetzt habe ich meine Maria Lassnig für den Film auch schon!“ 

Und haben Sie gleich zugesagt, diese Rolle zu übernehmen?
Sagen wir so, ich war zu 99,9 Prozent angetan von diesem Projekt, aber nicht zu 100 Prozent, was meiner Verehrung für Maria Lassnig geschuldet war. 

Und wie haben Sie Ihren Zugang zu dieser Rolle gefunden?
Die Grundlage, aus der ich schöpfe, ist das Drehbuch von Anja Salomonowitz und natürlich auch meine Recherche. Ich habe mir Lassnigs Biografie sehr genau angeschaut, Zeitgenossen befragt und auch ihre Bilder betrachtet. Durch dieses Hybrid, das Anja Salomonowitz kreiert hat, war das auch ein lustvoller und befreiender Zustand, weil es nicht darum ging, die exakte Kopie der Maria Lassnig wiederzugeben – wenn das überhaupt möglich ist.

Sie spielen Maria Lassnig in jedem Alter – als Kind, Erwachsene und alte Frau – gänzlich ohne Maske und Schminke, nur mit Perücke und Brille. Was war dabei die Herausforderung?
Natürlich bin ich mit meinem Alter durch den Film marschiert und sah auch so aus. Wenn man da körperlich oder stimmlich keine Veränderung herbeiführt, kann es sein, dass die Zuseherinnen und Zuseher überhaupt keinen Anhaltspunkt haben. Darum hat man sich entschieden, das mit dem Körper zu erzählen. Vor allem auch, weil der Körper bei Maria Lassnig eine unglaubliche Rolle gespielt hat. Die Schwierigkeit war, dass wir durch den nicht chronologischen Dreh manchmal an einem Tag mit der 50-jährigen Maria Lassnig begonnen haben, dann zur 20-Jährigen übergegangen sind und am Abend noch die 90-Jährige dran war.

Wie geht es Ihnen nach so einem Drehtag? Können Sie da im Alltag abschalten?
Also ich gehe nicht als Maria Lassnig nach Hause, sondern beschäftige mich damit, was am nächsten Tag zu machen ist, und bereite mich darauf vor. Auch wenn ich von Proben nach Hause komme, koche ich, mache den Haushalt oder arbeite im Garten. Aber im hinteren Stübchen rattert es die ganze Zeit und alles steht in Verbindung mit dem, womit ich mich gerade beschäftige.

„Eine Frau muss drei Mal so viel schuften wie ein Mann, nur weil sie eine Frau ist“, hat dieser Satz aus dem Film heute noch Gültigkeit?
Ja, natürlich.

Maria Lassnig führte einen Kampf, um als Frau in der männlichen Kunstwelt anerkannt zu werden. Auch Sie bewegen sich in der Kunst- und Kulturszene. Ist das heute noch genauso?
Ich glaube, das ist überall noch so, vor allem auch in Österreich, wo wir einen Gender-Pay-Gap haben. Erst wenn dieser nicht mehr da ist, können wir über andere Sachen reden. Also muss ich heute sagen: „Ja, es ist leider immer noch so.“

© Stadtkino Filmverleih

Fotografin Elfie Semotan hat Maria Lassnig zu Lebzeiten in Paris fotografiert und spielt sich im Film selbst. Wie war dieser Dreh?
Total aufregend und für mich einer der schlimmsten Drehtage. Auch weil diese Szene eine Form der Schizophrenie hatte, da es wie eine Halbdokumentation war und ich mit Elfie Semotan ein Fotoshooting nachgestellt habe, das es wirklich gegeben hat. Da treffen sich nicht zwei Schauspielerinnen, sondern eine, die es in der Realität gemacht hat, und die andere, die so tut, als ob. Das war für mich ein unglaublich schambehafteter Drehtag. Nicht, weil ich Lob von Elfie Semotan wollte, sondern einfach, weil ich sehr angespannt war. 

Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?
Dafür gibt es kein Rezept. Es sind immer die Menschen, mit denen ich zu tun habe. Sie sind für mich ausschlaggebender als die jeweilige Rolle. Zum Beispiel beim Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke (Birgit Minichmayr spielte die Nebenrolle der Magd Frieda; Anm. d. Red.). Da war es mir vollkommen egal, wie groß die Rolle war. 

Warum heißt der Film eigentlich „Mit einem Tiger schlafen“?
Weil es das berühmte Tiger-Bild von Maria Lassnig mit dem Titel „Sleeping with a tiger“ gibt. Irgendwer hat wohl gemeint, der englische Titel bringt nichts, das muss Deutsch übersetzt werden.

Maria Lassnig ist in einem Kärntner Dorf aufgewachsen und hat international Karriere gemacht. Sie wuchsen auf einem Bauernhof in Pasching auf und machen ebenfalls eine beachtliche Karriere. Sehen Sie da Parallelen?
Nein, ich glaube, dass der Kunstmarkt und der Beruf, den ich ausübe, sehr unterschiedlich sind. Ich kann nur in einem Kollektiv arbeiten, außer ich werde eine One-Man-Show-Performerin. In meinem Beruf ist das ist immer ein Miteinander. Maria Lassnig konnte sehr solitär mit sich sein. Und das ist schon lebensprägend.

Kommen Sie eigentlich noch öfter nach Oberösterreich?
Ja, natürlich. Ich war vor Kurzem mit Josef Hader bei der Filmpremiere von „Andrea lässt sich scheiden“ in der PlusCity und es waren viele Paschinger dabei. Das war ganz rührend.

Hier geht’s zum Trailer

Der Film „Mit einem Tiger schlafen“ feierte am 17. Februar 2024 seine Weltpremiere bei der Berlinale und wird am 12. April 2024 in die Kinos kommen! © Stadtkino Filmverleih

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