People | 03.12.2020
Alexa, ich mach Schluss mit dir!
Marketingberater Johannes Bröckers warnt in seinem neuen Buch „Alexa, ich mach Schluss mit dir!“ vor der Macht und der immer stärkeren Überwachung des Onlinegiganten. Er ruft dazu auf, unsere Beziehung zu Amazon gnadenlos zu überprüfen. Wir haben mit ihm über sein Beziehungsaus mit Alexa gesprochen.
OBERÖSTERREICHERIN: Herr Bröckers, in Ihrem neuen Buch „Alexa, ich mach Schluss mit dir!“ kritisieren Sie das „System Amazon“ scharf. Was führte zum Beziehungsaus mit Alexa?
Johannes Bröckers: Dazu muss ich sagen, dass ich nie eine Beziehung zu Alexa hatte. Die Superwanze kommt mir nicht ins Haus (lacht).
Was kritisieren Sie an dem Konzept von Amazon?
Ein zentraler Punkt ist das Thema Daten. Nicht nur Amazon, auch die anderen der Big Five der Silicon Tec-Giganten (Amazon, Google, Facebook, Apple und Microsoft) haben sich zu richtigen Datenkraken entwickelt. Seit es die Sprachassistenten wie Alexa gibt, ist die Datensammelflut noch mal auf ein ganz anderes Niveau gestiegen. Alle Befehle, die wir Alexa geben, werden aufgezeichnet, gespeichert und zum Teil auch von Amazon-Mitarbeitern transkribiert. Das Ziel von Amazon ist, schon vor uns zu wissen, was wir als Nächstes kaufen wollen. Mit dieser Strategie möchten die Tec-Giganten in unsere Gehirne eindringen und herausfinden, was wir als Nächstes denken, sagen oder tun werden. In meinen Augen wird überhaupt keine öffentliche Diskussion geführt, warum der Datenschutz hier nicht greift. Das Problem ist, dass die Konsumenten die Datenschutzrichtlinien und AGBs abhaken, ohne sie gelesen zu haben. Damit spekulieren die Webanbieter und den Konsumenten ist nicht bewusst, dass sie damit den Anbietern erlauben, alle Daten abzusaugen, um damit im Hintergrund ein riesiges Business mit unseren Daten zu machen. Unsere Daten sind im digitalen Business der wichtigste Rohstoff, den die privaten Unternehmen kostenlos von uns bekommen. Mir wäre es wichtig, dass hier eine öffentliche Debatte geführt wird, ob wir nicht ein digitales Grundgesetz brauchen.
Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass Corona ein Geschenk für Amazon war. Wie meinen Sie das?
Da im Lockdown weltweit alle Einzelhändler schließen mussten, hat Amazon im ersten Quartal ein Umsatzplus von 40 Prozent gehabt. Während wir uns im Lockdown zu Hause eingesperrt und vor dem Virus in der Außenwelt geschützt haben, sind wir zur idealen Angriffsfläche für das „Virus Amazon“ geworden. Besonders interessant wurde es, als man beobachten konnte, dass Amazon gewisse Produkte favorisiert und bei anderen (wie Büchern) bis zu vier Wochen Lieferverzögerung eingestellt hat. In meinen Augen kommt das einem Verkaufsverbot gleich. Aber auch die Marktplatzhändler auf dem Amazon Marketplace konnten nicht mehr frei ihre Produkte verkaufen, sondern Amazon hat bestimmt, welche Produkte wann verkauft werden. Das hat natürlich gar nichts mehr mit freiem Markt zu tun.
Laut den Berechnungen von Comparisun könnte Amazon-Chef Jeff Bezos schon 2026 der erste Billionär der Geschichte werden. Was macht Amazon so erfolgreich?
Jeff Bezos war, bevor er Amazon gegründet hat, als Analyst an der Wall Street tätig. In dieser Zeit machte er eine Studie über das Marktpotenzial des Internets. Als neoliberaler Bankier baute er sein Unternehmen mit größtmöglicher Marktradikalität auf. Das Erfolgskonzept von Amazon ist der Kundenservice. Die Tatsache, dass man von zu Hause mit einem Klick ein Produkt bestellen kann, das am nächsten Tag vor der eigenen Haustüre steht, ist natürlich für viele Menschen total faszinierend. Das Problem dabei ist, dass unsere Wahrnehmung nicht über den Screen, auf dem wir die tollen Produkte sehen, hinausgeht. Wir sehen die schlecht bezahlten und überwachten Logistikarbeiter nicht. Wir sehen nicht, dass Amazon – so wie die meisten großen Tec-Giganten – aggressiv Steuern vermeidet und in Steueroasen innerhalb der EU, wie Irland, Luxemburg oder Niederlande, verschiebt. Jeder Euro, den wir an Amazon abgeben, landet nicht in der Kommune, in der wir leben. Dadurch gehen zum Beispiel dem deutschen Staat jedes Jahr 18 Milliarden Euro verloren. Das ist kein fairer Wettbewerb gegenüber dem normalen Einzelhändler. Amazon ist nicht nur ein großes Kaufhaus: Amazon hat den Marketplace, Webservices, Rechenzentren und bis zu vierzig Tochterunternehmen. Damit hat sich Jeff Bezos ein System geschaffen, in dem er quer subventioniert. Um die Mitbewerber auszuschalten, kann er so lange die Preise drücken, bis der andere aufgegeben hat. Weil er mit Geld subventioniert, das er an anderer Stelle verdient. So funktioniert das Prinzip, mit dem Jeff Bezos – Berechnungen zufolge – der erste Billionär werden könnte. Kann man darauf stolz sein? Ich weiß es nicht.
Kritik am Konzern Amazon gibt es schon länger, dennoch boomt der Onlinehändler mehr denn je. Wieso fällt es den Konsumentinnen und Konsumenten so schwer, aus der Beziehungsfalle Amazon auszusteigen?
Dafür gibt es wahrscheinlich mehrere Gründe. Der Mensch ist nun mal ein bequemes „Tier“. Wenn uns die gebratenen Tauben ins Haus fliegen, wieso sollen wir dann noch rausgehen auf die Jagd? Ich glaube, die ganzen Prozesse, die da dahinterstecken, sind den Menschen zu wenig präsent. Man sollte die eigene Bequemlichkeit hinterfragen, aber es gehört auch endlich mehr Transparenz her, um es den Nutzern möglich zu machen, hinter die Strukturen sehen zu können. Unser Wahrnehmungsapparat wird durch das Digitale überlistet. Würden wir das physische Kaufhaus sehen, wo wir am Eingang nach unseren Adressen und Kreditkartendaten gefragt werden und wo uns ein Mitarbeiter auf Schritt und Tritt durch die Regale folgt und aufschreibt, was wir wie lange ansehen, würden wir uns belästigt fühlen. Aber im Internet bekommen wir es gar nicht mit, dass das genauso abläuft. Ich bin nicht gegen digitale Technologie, aber ich sage: Lassen wir die Unternehmen anständig ihre Steuern zahlen, ihre Mitarbeiter fair behandeln und schauen wir uns das Thema Datenschutz an. Wir nehmen die Digitalisierung als Naturphänomen wahr, an das wir uns anpassen müssen, wobei es ein Prozess ist, der von den Tec-Giganten gesteuert wird. Wir denken immer noch in alten Kategorien: Amazon ist für uns ein Kaufhaus und kein Überwachungskonzern. Google ist für uns immer noch die nette Suchmaschine, unser Auge in die digitale Welt. Dieses Auge sieht jedoch auch ganz tief in unser Leben hinein. Wir bezahlen am Ende mit unseren Freiheitsrechten. Interessant fand ich die Diskussion über die Corona-Warn-App. In diesem Fall war der Staat der Entwickler dieser App. Da wurden auf einmal alle Stimmen laut und forderten Datenschutz. So müssten wir aber eigentlich über jede App auf unserem Handy diskutieren. Da frag ich mich, wieso vertrauen wir Menschen wie Jeff Bezos und Mark Zuckerberg mehr als unseren demokratisch gewählten Volksvertretern?
Wenn man sich nun die ganzen Schattenseiten bewusst macht und sich dazu entschließt, mit Amazon Schluss zu machen, stellt sich die Frage: Kann man Amazon bei so einer ungeheuren Marktmacht überhaupt noch aufhalten?
Ich habe schon das Gefühl, dass das geht. In der digitalen Welt gibt es kein Kartellrecht. Amazon hat eine Marktdominanz von 50 Prozent. Wenn das im echten Leben so wäre, würde das Kartellamt sofort einschreiten und sagen: Moment mal, das ist kein fairer Wettbewerb mehr. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, die Diskussion in Schwung zu bringen. Das alleine wird jedoch nicht reichen. Hätten wir kein Amazon mehr, sondern fünf kleinere Amazon, die genauso agieren, hätten wir nicht viel gewonnen. Ich denke, es ist besonders wichtig, dass staatliche Aufgaben nicht in die Hände von privaten Unternehmern fallen. Dafür müssen wir als Einzelne unseren Konsum überdenken, aber auch unseren Politikern Druck machen.
Haben Sie Ihr Amazon Kundenkonto mittlerweile gelöscht?
Ich habe einen Leserbrief bekommen, in dem mich eine Leserin fragte, wie man denn sein Amazon Konto löscht. Da war für mich der Moment gekommen, nun endgültig mit Amazon Schluss zu machen, um der Leserin Bescheid geben zu können. Ich habe eine halbe Stunde die Webseite nach einem Button „Konto löschen“ abgesucht und habe ihn nicht gefunden. Dann habe ich mithilfe von Google herausgefunden, wie man über drei Links auf der Amazon Seite zu einem E-Mail-Formular kommt und in diesem eintragen muss, dass man sein Konto löschen möchte. Einen Tag später bekam ich dann von Amazon eine E-Mail, in der stand, was ich jetzt in Zukunft alles nicht mehr machen kann. Im ersten Moment klingt das wie die Vertreibung aus dem Konsumparadies: Amazon Prime, Amazon Kindle, Amazon Kreditkarte usw. ist nun für mich vorbei. Erst wenn man diese E-Mail nochmal bestätigt, ist man raus aus dem Spiel. Im ersten Moment fühlt sich das komisch an, aber nach mittlerweile vier Monaten stelle ich fest: Man kann über Amazon hinwegkommen.
Haben Sie Tipps, wie man am besten mit Amazon Schluss macht?
Einfach machen! In meinem Buch gibt es eine kleine Gebrauchsanweisung, wie man aus der Beziehungsfalle rauskommt. Denn wenn Sie sich eine Liste mit den positiven Aspekten von Amazon auf der einen und den negativen Aspekten auf der anderen Seite machen, so kann ich Ihnen versprechen, dass die negative Seite länger sein wird. Und glauben Sie mir, man kann ohne Amazon überleben (lacht). Sie können es ja einfach einmal ausprobieren. Wenn allein in Deutschland und in Österreich alle Amazon Nutzer für vier Wochen Amazon pausieren würden, so würde Jeff Bezos das merken. Man könnte sagen, sobald Amazon seinen Datenschutz verbessert, seine Steuern ordentlich zahlt und die Mitarbeiter fair behandelt, kauft man gerne wieder dort ein.
Warum verkaufen Sie Ihr Buch dann trotzdem über Amazon?
Leider kann ich mir das nicht aussuchen. Amazon ist ein Buchhändler wie jeder andere auch, das lässt sich leider nicht verhindern. Romantisch betrachtet, stelle ich mir immer vor: Möge dieses Buch das letzte sein, das ein Kunde bei Amazon bestellt (lacht).