Lifestyle | 24.03.2020
Sex im Alter
Nach wie vor reden wir wenig über Sexualität im Alter. Auch nicht die Generation 50 plus selbst. Das hängt damit zusammen, dass die heute über 65-Jährigen – obwohl großteils zu Zeiten der sexuellen Revolution im Rahmen der Studentenbewegung 1968 erwachsen geworden – mehrheitlich noch von der Prüderie der 1950er Jahre geprägt sind. Damals spielte Sex im öffentlichen Diskurs keine Rolle. Ansonsten ist, wenn überhaupt, nur schamhaft über Sex geredet worden. Oft aus religiösen Gründen hat darüber hinaus die stille Übereinkunft gegolten: „Sex ist in Ordnung, wenn er der Fortpflanzung dient, aber ist die reproduktive Phase im Leben vorbei, hat man keinen Sex mehr zu haben.“ Und über das, was man nicht haben darf, wird eben eher geschwiegen.
Aus dem Leben. Sabine (60): „Ich war lange verheiratet und habe drei erwachsene Kinder. Mein Mann hat sich vor fünf Jahren von mir getrennt – wir hatten am Beginn unserer Jahre guten Sex, die letzten Jahre der Ehe keinen mehr. Vermisst habe ich das schon, aber nach dem Wechsel hatte ich Schmerzen und die Freude daran verloren. Jetzt bin ich seit drei Monaten verliebt und komme mir vor, als wäre ich wieder 20. Ich habe Schmetterlinge im Bauch und lustvollen Sex. Ich habe von meiner Ärztin eine hormonhaltige Salbe verschrieben bekommen und pflege mein Genital mit Cremes. Ich genieße bei unseren Begegnungen die zärtlichen Berührungen am ganzen Körper und nach dem Sex gehalten zu werden, da sind wir einander sehr nah. Mein Partner ist 59 Jahre und bekommt auch ab und zu keinen steifen Penis oder verliert die Erektion wieder. Das macht nichts – wir finden auch andere Spielarten des Genusses. Er nimmt auch ein Potenzmittel, wenn es passt. Ich halte die Beziehung geheim. In den Köpfen meiner Umgebung gelte ich schon als geschlechtsloses Neutrum, das mit einem Kuss auf die Wange schon die Grenze des gesellschaftlich Tolerierten erreicht hat. Ich habe keine Lust auf abwertendes Gerede, schon gar nicht in dem Chor, in dem ich schon lang mitsinge.“
Sexualität kennt kein Alter. Eigentlich dürften wir in unserer Gesellschaft ja gar nicht altern. Tun wir aber! Das Gute daran: Das Bedürfnis nach Sexualität kennt keine Altersgrenze. Lust und Liebe sind nicht an ein Geburtsdatum oder einen makellosen, faltenfreien Körper gebunden. Wir sind sexuelle sinnliche Wesen von der Geburt bis zum Tod! Wenn es um Sexualität geht, existieren keinerlei Vorschriften, was richtig ist. Es darf aber auch kein Druck entstehen, immer zu „wollen“ oder zu „müssen“. So wie sich die emotionale Beziehung zwischen zwei Menschen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verändert, so verändert sich auch ihre Sexualität. Und auch wenn sich der Körper in seiner sichtbaren Erscheinung und den dahinterliegenden nicht sichtbaren (aber spürbaren) Prozessen verändert, bedeutet das noch lange nicht, dazu gezwungen zu sein, Probleme mit der Sexualität als unabänderliche Alterserscheinung hinzunehmen – es gibt Hilfsmittel.
Rein organisch verändert sich die Sexualität beim Älterwerden dadurch, dass zahlreiche Hormone und Botenstoffe nach und nach abgebaut werden. Zwar bleibt die Genuss- und Orgasmusfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten, dafür kann es aber zu anderen Problemen bei der Sexualität kommen. Bei der Frau verringert sich Östrogen, Progesteron und Testosteron. Die Genitalien werden dadurch schlechter durchblutet, das genitale Lustempfinden sinkt. Die Scheide wird trockener, es kann zu Erregungsstörungen, Lustlosigkeit und schmerzhaftem Geschlechtsverkehr kommen. Lokal aufgetragene Cremen oder Gels können die Durchblutung und damit die Erregung fördern bzw. die Gleitfähigkeit in der Vagina verbessern. Bei Hormonmangel kann die Frau, falls keine Kontraindikationen bestehen, die fehlenden Hormone von Arzt, von der Ärztin verschrieben als Gel oder in Tablettenform ersetzen.
Beim Mann kommt es durch den Abbau von Testosteron ebenfalls zu einer verringerten genitalen Durchblutung und damit zu einem reduzierten Lustempfinden und Erektionsproblemen. Da gibt es zahlreiche Hilfsmittel, die in Absprache mit Arzt oder Ärztin probiert werden können. Vorsicht bei billigen Potenzmitteln aus dem Internet: Diese gefährden eher die Gesundheit als zu helfen!
Was das Bedürfnis nach Sex beeinflusst. Eine häufige Ursache von Problemen beim Sex ist das „metabolische Syndrom“ (gestörter Zuckerhaushalt, Fettstoffwechselstörungen, Übergewicht, Fett-Anlagerung vor allem am Bauch, Bluthochdruck), das neben anderen Schädigungen des Körpers eine enorm negative Auswirkung auf Blutgefäße, Hormonhaushalt und damit auf die Sexualität hat. Ausreichende Bewegung und gesunde Ernährung können dem entgegenwirken! Schmerzen, Erkrankungen, körperliche Einschränkungen und Medikamente können ebenfalls störend auf die Sexualität wirken. Auch psychische Komponenten und Probleme in einer Partnerschaft vermögen das Bedürfnis nach Sex gegen null reduzieren.
Wer auch im fortgeschrittenen Alter sexuell aktiv bleiben möchte, für den gilt es, sich selbst als sexuelles Wesen wahrzunehmen und sich darum zu kümmern. Sex in den reiferen Jahren ist nicht schlechter als Sex in jungen Jahren. Er ist anders. Ein Leben lang können wir Neues lernen und auch Sexualität für uns passend verändern und gestalten. Bei Fragen helfe ich in meiner Praxis gerne weiter.