Lifestyle | 28.02.2022
Let’s talk about SEX!
Wolfgang Kostenwein ist Experte, was Männer und Sexualität betrifft. Als Sexologe, Psychologe und Sexualpädagoge beschäftigt sich der Wiener schon seit vielen Jahren mit dieser Thematik und weiß, was sich am stärksten verändert hat. Was er schade findet: dass in den Medien oft und nahezu hemmungslos eher außergewöhnliche sexuelle Gestaltungsmöglichkeiten gezeigt werden. Themen, die viele Menschen betreffen, bleiben hingegen nach wie vor tabuisiert …
Sie beschäftigen sich schon eine ganze Weile mit den Themen rund um männliche Sexualität. Was hat sich in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach am stärksten verändert?
Sexualität und gesellschaftliche Haltungen sind und waren schon immer miteinander verbunden. Die heutige Gesellschaft besitzt in vielerlei Hinsicht einen aufgeschlosseneren Blick auf Sexualität. In Medien und Dokumentationen werden oft und nahezu hemmungslos eher außergewöhnliche sexuelle Gestaltungsmöglichkeiten gezeigt. Allerdings bleiben Themen, die viele oder alle Menschen betreffen, interessanterweise nach wie vor tabuisiert. Beispielsweise wird die Tatsache, dass bereits Kinder sexuelle Gefühle wahrnehmen können, nach wie vor ignoriert. Über kindliche Sexualität Bescheid zu wissen, ist aber Voraussetzung, um sie respektieren und deren Entwicklung gut begleiten zu können. Aber auch andere Themen, die viele Menschen betreffen, sind öffentlich wenig präsent. Fragen zum Orgasmus, nicht oder zu schnell zu kommen, sexuelle Selbstsicherheit – all das sind Themen, die weitaus mehr Menschen persönlich betreffen.
Hat sich auch etwas zum Positiven hin verändert?
Zum Positiven verändert haben sich unter anderem Rollenvorgaben, Erwartungshaltungen und Informationsquellen. Sexualität ist gesellschaftlich ein sehr stark wertebesetztes Thema. Und diese Werte verändern sich etwas. Sehr positiv ist, dass es durch das Internet leichter ist, an Informationen heranzukommen. Sexualität wird viel offener und vielfältiger besprochen. Auch die Möglichkeiten, Beratung in Anspruch zu nehmen, sind einfacher geworden.
Vorzeitiger Samenerguss, Erektionsstörungen oder der Mythos, dass ein Mann immer kann und auch will: Sind das Klischees oder tatsächliche Probleme? Mit welchen Themen kommen Männer zu Ihnen?
Es ist immer beides. Gesellschaftliche Klischees führen ja sehr schnell auch in eine persönliche Problematik. Tatsächlich wird ein Mann mit vermindertem sexuellem Begehren schnell mit dem Klischee konfrontiert, dass doch alle Männer immer Sex wollen. Das führt unweigerlich in eine Drucksituation und in die Notwendigkeit, in einer sexuellen Begegnung eine Erektion bekommen zu müssen. Sich auf die Erektion zu konzentrieren, ist aber die sicherste Möglichkeit, diese zu verhindern. Erektion ist ein reflektorisches Geschehen, das im sexuellen Kontext den Lusthintergrund benötigt. Diese Fragestellungen hat es auch früher häufig gegeben. Neu ist, dass vermehrt auch junge Männer mit Fragen zur Funktionalität oder mit dem Wunsch nach einer besseren „Performance“ beim Sex kommen. Auch hier spielen gesellschaftliche und mediale Rollenvorgaben eine Rolle. Wir haben auch vermehrt junge Männer in der Beratung, die ihre sexuellen Probleme mit überhöhtem Pornokonsum in Verbindung bringen. Unverändert häufig gibt es Fragen zu frühzeitigem Samenerguss. Die Problematik, auf den Zeitpunkt des Kommens nicht oder nur eingeschränkt Einfluss nehmen zu können, führt Männer aller Altersgruppen in die Beratung. Oft erst nach mehreren belastenden Jahren – dabei ist es tatsächlich möglich, die Erregungskurve steuern zu lernen.
Männer sind nicht unbedingt als sehr redselig bekannt, wenn es um Probleme geht. Sind sie vielleicht noch schweigsamer, wenn es sich um sexuelle Probleme handelt?
Dass Männer nicht über ihre Anliegen reden können, ist auch ein Klischee. Zu mir kommen nahezu ausschließlich Männer, die ihr Problem erkennen und dieses aktiv lösen wollen. Es sind also Männer, die sich hinsichtlich ihrer Problematik sehr kompetent zeigen. Es sind eher die fehlenden Informationen, dass Sexualität veränderbar ist und es spezielle Beratungsangebote für Männer gibt, die den Weg in die Sexualberatung erschweren. Im Beratungsgespräch muss der Mann dann nicht viel über sich und seine Sexualität erzählen. Im Rahmen der sexuellen Evaluierung wird so differenziert nachgefragt, dass der betreffende Mann nur antworten muss. Über alle Details zu reden, wird im Beratungssetting schnell so normal, dass Peinlichkeit oder Schweigsamkeit keinen Platz hat.
Lässt sich einschätzen, wie viele Männer in Österreich von sexuellen Problemen betroffen sind?
Es gibt Statistiken darüber, wie viele Männer im medizinischen Sinn unterschiedlichen sexuellen Problemen zugeordnet sind. In unseren Beratungen gehen wir nicht von diesen Zuordnungen aus, sondern orientieren uns an den Anliegen der Betroffenen. Vermutlich gibt es wenige Menschen, die hinsichtlich ihrer Sexualität gar keine Fragen oder Sehnsüchte haben. Es ist eher das unzureichende Wissen, das dazu führt, dass sich Menschen oft auch mit dem, was sie in ihrer Sexualität kennen, abfinden. Sexualität hätte und hat immer Veränderungs- und Entwicklungspotenzial!
"Unverändert häufig beschäftigt Männer der frühzeitige Samenerguss. Dabei kann man tatsächlich lernen, die Erregungskurve zu steuern" - Wolfgang Kostenwein
Sie sind Sexologe, Psychologe und Sexualpädagoge. Wann ist man bei Ihnen richtig?
Sexualpädagogik umfasst einen großen Bereich der Gesundheitsförderung und der Prävention für alle Altersstufen. Dazu gehören zum Beispiel Workshops für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene. Elternbildung, Fortbildungen für Menschen, die mit Menschen arbeiten, und sogenannte Fallsupervisionen sind ebenso wichtiger Teil der Sexualpädagogik. Dabei geht es immer auch darum, differenzierte Gesprächsangebote zu setzen, Mythen aufzuklären und für die Zielgruppe wichtiges Wissen zu vermitteln. Sexualpädagogik findet immer dann statt, wenn der sexuelle Aspekt des Menschen in der Betreuung und Begleitung mitgedacht wird. Deshalb sind viele Berufsgruppen auch sexualpädagogisch gefordert und brauchen darin Begleitung.
Und was macht ein Sexologe?
Als Sexologe bin ich zuständig, wenn Menschen sehr konkrete Fragestellungen zu ihrer eigenen Sexualität haben. Oft werden diese Fragestellungen subjektiv als Problem wahrgenommen und stellen somit eine hohe Belastung für den Einzelnen dar. In der Sexualberatung wird in einem sehr genauen Anamnesegespräch ermittelt, welche Fähigkeiten, aber auch welche Grenzen eine Person in ihrer sexuellen Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeit hat. Auf dieser Basis wird der Klient oder die Klientin durch klärende Gespräche und spezielle K.rperübungen, die zu Hause durchgeführt werden, darin begleitet, die eigenen sexuellen Fähigkeiten zu erweitern. Da wir in der Sexologie die Sexualität zum Menschen gehörig betrachten und nicht paarorientiert, arbeiten wir mit Einzelpersonen. Wenn sich jemand in einer Beziehung befindet, dann werden in größeren Abständen auch Paargespräche abgehalten, wenn das gewünscht wird.