Lifestyle | 12.05.2021
Lebensmittel lieben statt verschwenden
Lebensmittelverschwendung ist ein großes Thema. Allein in Österreich landen rund 760.000 Tonnen Lebensmittel im Müll oder werden gar nicht erst geerntet. Diese Zahl erschüttert auch die Puchenauer Diätologin Erika Mittergeber. „Es ist ein Irrsinn, dass so viele Lebensmittel, die zum Teil noch genießbar wären, weggeworfen werden“, sagt sie. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was jeder Einzelne dagegen tun kann.
OBERÖSTERREICHERIN: Woran liegt es, dass so viele Lebensmittel im Müll landen? Zum Teil sogar ungeöffnet?
Erika Mittergeber: Was mich besonders erschreckt, ist, dass mehr als die Hälfte auf die privaten Haushalte zurückzuführen ist. Nur knappe zehn Prozent entfallen auf Supermärkte und den Großhandel, etwa 13 Prozent auf die Produktion und ein Fünftel auf den Außer-Haus-Verzehr. Das sind zum Beispiel Gastronomie, Krankenhäuser und Schulen. Die gute Nachricht ist, dass jeder etwas gegen diese Lebensmittelverschwendung tun kann.
Wie kann man in privaten Haushalten das Bewusstsein schärfen?
Für mich fängt vieles bereits beim Wissen an, wie Lebensmittel richtig gelagert werden. Zum Beispiel mögen es Erdäpfel gern kühl und dunkel. Äpfel und Bananen sollte man nicht nebeneinander aufbewahren, denn Äpfel lassen Bananen schnell nachreifen. Die Bananen schmecken schon nach wenigen Tagen nicht mehr. Ich finde, dass schon Kinder eine grundlegende Haushaltskompetenz vermittelt werden sollte. Weil es die Voraussetzung für einen vernünftigen Umgang mit Lebensmitteln ist. Da geht es um so Dinge, dass man Käse weggeben muss, wenn er schimmelt, und was kann man machen, damit er eben nicht zu schimmeln beginnt. Das hört sich banal an, ist aber in der Realität ein großes Thema. Das sind Grundlagen, die allerdings oft fehlen. Bei meiner Arbeit stelle ich immer wieder fest: Je jünger meine Klienten sind, umso mehr fehlt diese einfache Haushalts- und Küchenkompetenz.
Was kann jeder Einzelne gegen die immense Verschwendung an Lebensmitteln tun?
Ein erster Schritt ist, sich dessen überhaupt einmal bewusst zu werden. Dann geht es darum, angemessene und vernünftige Mengen einzukaufen. Dafür muss man allerdings seine Essgewohnheiten kennen und auch gut einschätzen können. Mir hilft dabei ein Plan, in dem ich die Mahlzeiten für eine ganze Woche festlege. Danach kaufe ich ein. Ganz wichtig: Bitte gehen Sie nicht hungrig einkaufen! Sonst wandern viel zu viele Dinge in den Einkaufswagen, die Sie gar nicht brauchen. Und lassen Sie sich nicht von Angeboten und Rabattaktionen verleiten. Bei „3 für 2“-Aktionen oder einem Kübel Orangen sollte man gut überlegen, ob man die Produkte auch wirklich essen oder verwerten kann.
Sie haben eben den Wochenplan angesprochen. Was mache ich, wenn ich unter der Woche draufkomme, dass ich am nächsten Tag lieber etwas anderes essen möchte?
Dazu rate ich meinen Klienten, zwei Speisen zusätzlich einzuplanen – sozusagen als kleines Back-up. Das funktioniert recht gut und man bleibt ein bisschen flexibler. Was auch sehr praktisch ist: ein Rezept-Karteikarten-System, bei dem man die Gerichte in unterschiedliche Gruppen einteilt. Warme und kalte Gerichte, mit Fleisch und vegetarisch, Süßspeisen. Dann hat man jene Speisen, die man mag oder vielleicht auch mal ausprobieren möchte, auf einen Blick beisammen und muss nicht stundenlang nach Rezepten suchen. Das bringt auch ein bisschen mehr Abwechslung, wenn man bedenkt, dass der Standard-Haushalt in Österreich ein Repertoire von insgesamt zehn Gerichten hat, die sich ständig wiederholen.
Warum werden so viele Lebensmittel sogar ungeöffnet weggeworfen?
Weil viele Menschen glauben, nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum müsse jedes Lebensmittel entsorgt werden. Dabei sind sie oft noch gut und genießbar. Für mich ist sehr wichtig, dass Eltern das auch ihren Kindern vermitteln. Dass sie erkennen, wenn etwas tatsächlich nicht mehr genießbar ist. Wie soll die nächste Generation das lernen, wenn sie es bei uns nie sehen oder erleben? Abgelaufene Lebensmittel also unbedingt öffnen und erst mal daran riechen. Unsere Nase ist ein so feines Organ, das sofort merkt, wenn etwas nicht stimmt.
Oft ist es auch so, dass man nicht weiß, was man aus Essensresten noch machen könnte …
Es gibt unzählige Rezepte, wie man Reste kreativ verkochen kann. Ganz vieles lässt sich aber auch einfrieren. Ich habe zum Beispiel Kuchenstreusel eingefroren, die mir übriggeblieben sind. Sie halten zwischen vier und sechs Monaten und beim nächsten Kuchenbacken habe ich die Streusel schon fixfertig. Oder auch bei saisonalem Obst und Gemüse, wenn man große Mengen davon hat. Kohlsprossen etwa kann man blanchieren und portionsweise einfrieren. Viele Sachen kann man auch trocknen oder zu Marmelade einkochen. Oft kocht man auch zu viele Beilagen, wie Nudeln, Hirse oder Reis. Diese kann man ganz einfach zu einem Salat weiterverarbeiten.
Am Markt herrscht ein harter Preisdruck. Die für Ware minderer Qualität erzielbaren Preise sind oft so gering, dass es billiger kommt, „zu kleine“ Erdäpfel oder Äpfel „mit Flecken“ zu entsorgen. Ist es auch an uns Konsumenten, ein bisschen weniger kritisch zu sein, was das Aussehen von Obst und Gemüse betrifft?
Unbedingt! Da ist auch Bewusstseinsbildung notwendig, weil viele Konsumenten gar nicht mehr wissen, dass Anomalien bei Obst und Gemüse völlig normal und natürlich sind. Mir gefällt, dass viele Menschen wieder mit dem Garteln beginnen oder auch Hühner im Garten halten. Das finde ich gut, weil man wieder einen besseren Bezug zu Nahrungsmitteln und deren Produktion bekommt. Das schärft auch das Bewusstsein, dass Erdäpfel nun mal unterschiedlich aussehen. Auch entsprechende Lebensmittelinitiativen haben sich dieser Problematik angenommen und verarbeiten zum Beispiel Obst und Gemüse aus Überproduktionen oder die für den Markt nicht „schön“ genug sind.
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„Die Essperten“
Erika Mittergeber
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