Lifestyle | 25.04.2022
Kino im Kopf
Einen Dreier stelle ich mir total aufregend und höchst erotisch vor.“ (Susanne, 45 Jahre)
„Einfach ohne Worte von einem wildfremden Mann von hinten gepackt werden und wortlos an Ort und Stelle heftigen Sex haben.“ (Lisa, 29 Jahre)
„Nach einem Winterspaziergang und einem romantischen Dinner bei Kerzenschein vor dem knisternden Kaminfeuer Geschlechtsverkehr mit meinem Mann haben.“ (Alex, 38 Jahre)
Sexuelle Fantasien sind sehr vielfältig. Gemeint ist übrigens nicht nur das Kopfkino – Fantasien können auch Vorstellungen oder Erinnerungen an konkrete Situationen oder Sinneswahrnehmungen wie Gerüche, Stimmungen oder Bilder umfassen. Viele Menschen sind in ihrer Fantasie äußerst experimentierfreudig, haben aber nicht das Bedürfnis, diese Dinge oder nur Teile davon in der Realität umzusetzen beziehungsweise auszuleben. So ist es auch im Alltag! Wer kennt es nicht, dieses unglaublich erhabene Gefühl, wenn man nach einem furchtbaren Streit mit der Kollegin in der Fantasie deren nagelneues Auto zerkratzt oder wie man die beste Freundin im gesamten Freundeskreis bis auf die Knochen blamiert, nachdem sie ein intimes Geheimnis ausgeplaudert hat? Sich das schier Unmögliche in den buntesten und lebhaftesten Bildern auszumalen, kann lustvoll und manchmal tatsächlich auch sehr entlastend sein – auch wenn man es in der Realität nicht umsetzt.
Was ist „normal“? Nicht immer werden die sexuellen Fantasien ausschließlich als Bereicherung beziehungsweise als Möglichkeit der Erregungssteigerung gesehen. Nicht selten führen die eigenen Gedanken und Vorstellungen Menschen auch in die völlige Verunsicherung. Aus diesem Grund suchen mich immer wieder Frauen in der Beratung auf und fragen mich, ob es denn „normal“ sei, solche „komischen“ und „abartigen“ sexuellen Fantasien zu haben. So auch jene Frau, die schilderte, dass sie es höchst erregend und lustvoll finde, wenn sie kurz vor dem Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann an eine Situation denke, wo sie von einem ihr völlig unbekannten Mann wie aus dem Nichts von hinten gepackt und wortlos penetriert wird. Eine höchst ambivalente Situation für diese Frau. Einerseits weiß sie, dass diese Fantasie ihre Lust und Erregung fast ins Unermessliche hochpusht, andererseits schämt sie sich für ihre, wie sie es beschreibt, moralisch zutiefst verwerflichen Gedanken. Natürlich fragt sie sich auch, wo es denn herkomme, dass sie die Gedanken an einen sexuellen Übergriff als lustvoll empfinde.
„Die quälende Sorge, dass manche erotischen Fantasien nicht normal seien oder mit einem problematischen Sexualverhalten in Verbindung stehen könnten, ist meistens völlig unbegründet.“ - Mag. Heidemarie König
Fantasien bleiben Fantasien. Eines gleich vorweg: Fantasien sind und bleiben Fantasien und den allermeisten Menschen gelingt es auch, ganz klar zwischen Handlungen und Gedanken zu trennen. Also Personen, die es in der eigenen Fantasie erregend finden, übergriffig behandelt zu werden, wünschen sich in der Realität natürlich nicht, dass sie selbst oder ein anderer Mensch in der Form behandelt werden! Auch deren Unterbewusstsein kann nicht als Erklärungsgrundlage herangezogen werden. Vielmehr beeinflusst der persönliche Erregungsmodus, also die Art und Weise, die eine Person mehr oder weniger bewusst nutzt, um sich sexuell zu erregen, auch die eigenen Fantasien. Das heißt: Menschen, die in der Selbstbefriedigung und/oder partnerschaftlichen Sexualität ihre sexuelle Erregung maßgeblich über eine muskuläre Anspannung in Kombination mit flacher Atmung speisen, nutzen auch häufig Fantasien, die diese Körperlichkeit unterstützen. Also beispielsweise die bereits skizzierte Fantasie des Unbekannten oder auch Gewaltfantasien können diese Personen unter Umständen als erregungssteigernd empfinden. Denn diese fiktiven Szenarien unterstützen das eigene sexuelle System, indem sie im Hier und Jetzt die Muskelspannung ansteigen lassen und die Atmung verflachen. Andere Frauen nutzen wiederum andere Fantasien – vielleicht Fantasien, die ihre Beweglichkeit in der sexuellen Erregungsgestaltung widerspiegeln.
Lustvolle sexuelle Gestaltung. Ob aus einem reichhaltigen Repertoire aus unterschiedlichsten Fantasien geschöpft wird oder ob nur eine einzelne Imagination zum Einsatz kommt beziehungsweise ob überhaupt Fantasien in der lustgeleiteten Situation zur Erregungsauslösung oder -steigerung genutzt werden, ist weder gut noch schlecht. Es kann aber widerspiegeln, wie man sich in seiner persönlichen Sexualität gestaltet. Nicht alle Menschen nutzen Fantasien, Bilder oder Vorstellungen, um die eigene sexuelle Erregung auszulösen oder zu steigern, für manche Menschen ist es aber durchaus ein probates Mittel, sich lustvoll sexuell zu gestalten. Die quälende Sorge, dass manche erotischen Fantasien nicht normal seien oder mit einem problematischen Sexualverhalten in Verbindung stehen könnten, ist aber meistens völlig unbegründet.
Und wie heißt es so schön und sang einst unter anderem Konstantin Wecker: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten ...“