Lifestyle | 21.12.2020
Hände bewegen
Streicheln und schlagen, heilen und hacken, pflegen und peitschen – beinahe unzählige solcher Gegensatzpaare lassen sich finden, wenn es um Hände geht. Gemeinsam ist ihnen allen: Es geht ums Tun. Denn das Tun ist ihre Aufgabe. Vielleicht treten die Wörter paarweise auf, weil die Rechte nicht immer weiß, was die Linke tut. Und welche der beiden hat die Fäden in der Hand, die nicht nur Marionetten tanzen lassen?
Hände sind das „Werkzeug der Werkzeuge“.
Dennoch sind sie mehr als Anatomie, obwohl in ihnen ca. ein Viertel aller Knochen des menschlichen Körpers stecken.
Hände sprechen, sie übersetzen in die Gebärdensprache, mit Handzeichen stimmen wir ab, schwören und winken oder zeigen mit erhobener Faust oder erhobenem Mittelfinger unser Missfallen.
Wir Menschen haben sie buchstäblich in der Hand, unsere Identität. Unsere Fingerabdrücke verraten Kundigen mehr als ein Ausweis. Das Fingerspitzengefühl zeichnet jemanden aus, der sich auf Details versteht. Große Männerhände operieren mit immenser Zartheit, reparieren Maschinen und spielen Instrumente. Und die Bewegungen von Tänzerinnen und Tänzern gehen in den Fingerspitzen bis zum Äußersten.
Hände sind Boten des verborgenen Wesens in uns, mit eigentümlichem Charakter und eigener Physiognomie. Manche verstärken unmittelbar den Eindruck des Menschen, dem sie angehören, andere scheinen ihm zu widersprechen. Am schönsten ist es, wenn sie erstaunlich und wundersam zueinander stimmen.
Festhalten: Fotografieren und Schreiben
Kurze Geschichte einer Begegnung
Was haben sie gemeinsam, die Fotografin Monika Löff und die Autorin und Germanistin Ingrid Pfeiffer? Das Festhalten – im Bild und im Wort. Gemeinsam ist ihnen auch ihr Interesse für Hände. Ingrid Pfeiffers „Gedanken für den Tag“ auf Ö1 zu diesem Thema brachten ihr ein Mail von Monika Löff. Inzwischen halten sie zusammen fest: fotografierend, schreibend.
Der „Kampf der Hände“ von Franz Kafka
„Meine zwei Hände begannen einen Kampf. Das Buch in dem ich gelesen hatte, klappten sie zu und schoben es bei Seite, damit es nicht störe. Mir salutierten sie und ernannten mich zum Schiedsrichter. Und schon hatten sie die Finger ineinander verschränkt und schon jagten sie am Tischrand hin, bald nach rechts bald nach links je nach dem Überdruck der einen oder der andern. Ich ließ keinen Blick von ihnen. Sind es meine Hände, muß ich ein gerechter Richter sein, sonst halse ich mir selbst die Leiden eines falschen Schiedsspruchs auf. Aber mein Amt ist nicht leicht, im Dunkel zwischen den Handtellern werden verschiedene Kniffe angewendet, die ich nicht unbeachtet lassen darf, ich drücke deshalb das Kinn an den Tisch und nun entgeht mir nichts. Mein Leben lang habe ich die Rechte, ohne es gegen die Linke böse zu meinen, bevorzugt. Hätte doch die Linke einmal etwas gesagt, ich hätte, nachgiebig und rechtlich wie ich bin, gleich den Mißbrauch eingestellt. Aber sie muckste nicht, hing an mir hinunter und während etwa die Rechte auf der Gasse meinen Hut schwang, tastete die Linke ängstlich meinen Schenkel ab. Das war eine schlechte Vorbereitung zum Kampf, der jetzt vor sich geht. Wie willst Du auf die Dauer, linkes Handgelenk, gegen diese gewaltige Rechte Dich stemmen? Wie Deine mädchenhaften Finger in der Klemme der fünf andern behaupten? Das scheint mir kein Kampf mehr, sondern natürliches Ende der Linken. Schon ist sie in die äußerste linke Ecke des Tisches gedrängt, und an ihr regelmäßig auf und nieder schwingend wie ein Maschinenkolben die Rechte. Bekäme ich angesichts dieser Not nicht den erlösenden Gedanken, daß es meine eigenen Hände sind, die hier im Kampf stehn und daß ich sie mit einem leichten Ruck von einander wegziehn kann und damit Kampf und Not beenden – bekäme ich diesen Gedanken nicht, die Linke wäre aus dem Gelenk gebrochen vom Tisch geschleudert und dann vielleicht die Rechte in der Zügellosigkeit des Siegers wie der fünfköpfige Höllenhund mir selbst ins aufmerksame Gesicht gefahren. Statt dessen liegen die zwei jetzt übereinander, die Rechte streichelt den Rücken der Linken, und ich unehrlicher Schiedsrichter nicke dazu.“
Franz Kafka: Schriften –Tagebücher. Kritische Ausgabe.
Band 6: Nachgelassene Schriften und Fragmente 1,
Oktavheft D (März-April 1917), S. 389-390,
Fischer Taschenbuch Verlag, 2002.