Uschi Fellner | 29.08.2022
Kolumne by Uschi Fellner
Meine Medien-Antennen melden, dass der Bob - ich meine die Frisur - wieder gewaltig en vogue ist. Beziehungsweise sätestens im Herbst en vogue sein wird. Das ist eine Nachricht, die es vermutlich nicht in die „Zeit im Bild“ schaffen wird, schwer vorstellbar, dass Armin Wolf aggressiv hinterfragt, warum demnächst wieder alle Pagenköfe tragen werden.
Der lifestylemäßig durchschnittlich gebildete Bürger weiß natürlich längst, dass der Pagenkof, seit einer Ewigkeit auch Bob genannt, DIE Frisur des Jahrhunderts ist. Aber! Auch wenn ich mich jetzt der Gefahr aussetze, zum uncoolsten Menschen des Erdenrunds gewählt zu werden: Erfunden hat diese Frisur eine Person, die ihr vermutlich gar nicht mehr kennt. Also „ihr“ unter 30-Jährigen zumindest ;-) Kleiner Hinweis: Prinz Eisenherz war es nicht.
In der Generation der um 1970 Geborenen, war diese Person eine Ikone. So was Ähnliches wie Angelina Jolie, Madonna und Kim Kardashian zusammen, und das ist noch untertrieben. Sie war ein unerreichbares Mode-Vorbild, eine Queen of Style, eine einzigartige Künstlerin. Und zwar vor allem wegen ihrer Frisur. Pagenkof! Reinste Form! Da saß jedes Haar wie ein Zinnsoldat auf dem nächsten.
Nie hätte man sich getraut, dieser anbetungswürdigen Person die Haare zu zerwuscheln. Man konnte, nein, man wollte sich nicht vorstellen, wie dieTrägerin dieser Frisur mit nassen, mit zerrauften, mit ungewaschenen Haaren aussah.
Pfui, welch garstige Idee! Diese Frau, da war sich die Weltmeinung damals auch ohne Social-Media-Kanäle sicher, war mit perfekt frisiertem Pagenkof bereits geboren und wachte morgens damit auf.
Und Millionen Mädchen und Frauen fragten sich beim Anblick der Dame, die omniräsent aus allen damals verfügbaren Fernsehsendern strahlte - übrigens sang sie auch nicht schlecht! - , mit welchen Tricks sie die exakte Innenrolle ihres Pagenkofes hinbekam. Und wie viele Rundbürsten sie beim Föhnen wohl brauchte. Meinesgleichen und ich, die sämtliche Tonträger der Person besaßen und selbstverständlich ihre Frisur trugen, mutmaßten: zumindest fünf!
Die erfahrenen Semester unter euch haben die Person natürlich längst identifiziert. Es handelt sich um den „Spatz von Avignon“, Mireille Mathieu. „Hintär dän ulissen von Pariis, ischt das äbän noch einmal so süüß “
Und dieser Akzent erst! Meinesgleichen und ich bedauerten damals stündlich, keine Französinnen zu sein. Und niemals so charmant wie Mireille sprächän und singän zu können.
Wir bedauerten in höchstem Maße, Mütter zu haben, die uns mit Namen wie Sabine, Brigitte, Barbara oder Ursula gestraft hatten und uns dadurch einem Schicksal zuführten, das von Paris so weit weg wie Nebraska war. Ich selbst beneidete Mireille gnadenlos um ihre Mutter, die sie mit diesem gottvollen Namen geadelt hatte, mit ungefähr 12 Jahren quälte ich meine Eltern sogar mit dem ernst gemeinten Vorschlag, mich umtaufen zu lassen.
Und wenn ich nicht aß, schlief, lernte oder Nase bohrte, stand ich vor dem Siegel und übte die Föhnwelle à la Mireille. Was selten klappte. Fotos belegen, dass ich aussah wie ein unregelmäßig geformter Pilz, und da mir die nach innen geföhnten Ponyfransen nur bis zur oberen Stirnhälfte reichten, sah der Pilz nicht übermäßig intelligent aus.
Mireille hat heute, mit 75 Jahren, noch die exakt gleiche Frisur wie als 18-Jährige, was man schon auch als Lebensleistung bezeichnen darf. Würde ich sie heute irgendwo treffen, würde ich sie immer noch am liebsten nach der Anzahl ihrer Rundbürsten fragen, für mich eine der großen Fragen der Menschheit. Und wenn sie darauf eventuell „Es sind fünf!“ antworten würde, ja, dann würde mich das irgendwie doch sehr, sehr stolz machen.