JOMO: Die Freude am Verpassen

„My Ugly Clementine“ – das sind Sophie Lindinger, Mira Lu Kovacs und Nastasja Ronck. Sie wurden 2019 mit ihrer Band gefühlt über Nacht bekannt.

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Am 11. August releasen sie ihr neues Album „The Good Life“, das noch tiefer geht und noch mehr nach ihnen und ihrer besonderen Freundschaft klingt. Wir haben Mira Lu und Nasti getroffen und mit ihnen über das neue Album, die Freude am Verpassen und den geheimnisvollen Flitzer-Auftritt bei „Willkommen Österreich“ gesprochen.

Bleibt einfach zu Hause, wenn ihr keine Lust habt, und genießt das Verpassen mal!

Mira Lu Kovacs

Ich traf die Wienerinnen Mira Lu und Nastasja über Zoom, Sophie – die Oberösterreicherin, die von den anderen „President of Sound“ genannt wird und Songs ausspuckt wie Kaugummis – war leider krank und konnte nicht dabei sein. So sprach ich mit den zwei Indie-Rock-Musikerinnen über ihr erstes musikalisches Lebenszeichen nach ihrem gefeierten Debüt 2019, mit dem sie einen Kickstart in der Szene hinlegten. Ihr erstes Konzert war innerhalb eines Tages ausverkauft und das zweite war direkt als Vorband für die großen „AnnenMayKantereit“ in der Arena Wien. Es folgte ein Festivalsommer und eine Auszeichnung nach der anderen. So als wären sie schon immer da gewesen … 

Wie erklärt ihr euch diesen Erfolg? 

Mira Lu: Ich denke, zu allem was du gerade aufgezählt hast, gehört auch immer unfassbar viel Glück. Wir sind mit ganz vielen glücklichen Umständen gesegnet. Sophie und ich waren in der FM4-Indie-Szene schon davor sichtbar. Daher gab es da schon einen ziemlichen Vertrauensvorschuss und auch unsere Besetzung war einfach etwas Erfrischendes, was es so zu dem Zeitpunkt nicht zuhauf gegeben hat. Das war wahrscheinlich einfach etwas, worauf die Musikszene gewartet hat. Wir sind zu dritt jetzt auch eine Gruppe, die sich persönlich sehr nahesteht. Und ich glaube, das ist auch etwas, was man sehr stark spürt, dass wir einfach echte Freundinnen sind. 

Im Juni erschien eure Single „Feet up“. Dabei werden Szenen aus ikonischen Musikvideos der Nullerjahre nachgestellt. Da gibt es Ähnlichkeiten zum Blink-182-Video zu „What‘s My Age Again?“, wo die Punkrocker nackt durch die Stadt und durch Fernsehshows laufen. Ihr seid Anfang Mai nackt durchs „Willkommen Österreich“-Studio geflitzt. Was war da denn los? 

Nastasja: Angeblich, man weiß es ja nicht wirklich (lächelt). 

Mira Lu: Ja, genau. Das ist einfach die Nachstellung ikonischer Musikvideos von Bands, die in der Zeit sehr hip waren und jetzt auch gerade wieder hip werden, weil das einfach gerade voll retro ist. Wir sind mit Blink-182, Nirvana, Red Hot Chili Peppers, Sum 41 aufgewachsen. 

Nastasja: Sophie hatte die Idee, unser Musikvideo so zu gestalten. Wir haben uns dadurch einen kleinen Traum erfüllt, dass wir Videos, die wir als Jugendliche gesehen haben, nachstellen. Früher haben wir uns gedacht: „Werde ich auch einmal so etwas machen?“ Und dann haben wir es gemacht und hatten den größten Spaß dabei (lacht). 

Worum geht’s in dem Song? 

Nastasja: Kennst du den Ausdruck JOMO? 

Ich kenne FOMO, also „Fear Of Missing Out“: die Angst, etwas zu verpassen.

Nastasja: Ja, genau. Und JOMO bedeutet „Joy Of Missing Out”. Es geht ein bisschen darum, dass man so die eigene Langeweile hinnimmt und auch genießt, im Sommer einfach mal zu Hause bleibt, wenn man keine Lust hat mit an den See zu fahren oder in den Park zu gehen. Dass man auch wenn alle draußen sind und Spaß haben, einfach zu Hause bleibt, sich ein Eis aufmacht und seine Lieblingsserie schaut – ohne schlechtes Gewissen.  

Mira Lu: Das war lustig bei dem Song, denn Sophie hatte einen anderen Zugang und Nastasja hat es dann so interpretiert. Also das eine ist eben dieser JOMO-Zugang, die „Celebration of Boredom“. Ich finde es extrem wichtig, dass einem regelmäßig fad ist, also ich hätte sonst keine Ideen und muss mir manchmal alle Reize entziehen, damit mir so fad ist, dass ich wieder Ideen bekomme. Sophie hatte den Zugang, dass sie immer wahnsinnig viel macht, und wenn sie dann aber mal Pause macht, wird ihr immer schnell fad. Daher kommt die Zeile: „It‘s nice, but I‘m bored.“ Diese schwierige Balance zwischen entertaining myself, being busy und doing nothing.

Sophie klingt so, als würde sie das mit der FOMO sehr gut kennen, ich fühle mich da auch sehr ertappt. Wie geht es euch beiden mit FOMO oder seid ihr schon besser in JOMO (lacht)? 

Mira Lu: Nasti ist super in JOMO. 

Nastasja: Das stimmt, ich hab wirklich selten FOMO. Sophie hat aber jetzt sicher FOMO, da sie heute nicht beim Interview dabei sein kann, weil sie krank ist.

Mira Lu: Ich hab voll oft FOMO, aber Nasti ist ein großes Vorbild für mich! Wenn es draußen schön ist, dann denke ich mir: „Ich muss raus, ich muss schwimmen gehen, ich muss die Sonne genießen, ich muss Freizeit haben!“ – und Nasti ist dann so: „Vorhänge zu, ich mach Videospiele und liege rum!“ (lacht)

Das heißt, wir sind jetzt ja eigentlich voll in der „FOMO-Season“ angekommen. Gefühlt ist nämlich ganz Instagram zurzeit draußen und unternimmt was Cooles, oder? 

Mira Lu: Ja, und der Song ist ein Plädoyer für JOMO! Bleibt einfach zu Hause, wenn ihr keine Lust habt, und genießt das Verpassen mal! 

Euer neues Album kommt im August und heißt „The Good Life“. Wie war der Prozess des Schreibens und Produzierens? 

Mira Lu: Ja, das stimmt. 2022 sind Sophie, Nasti und ich einfach viel abgehangen und haben sehr viel geschrieben. Sophie hatte ja das ganze erste Album selbst geschrieben – sie spuckt Songs aus wie Kaugummis. Wir haben uns sehr oft zu dritt in Sophies Studio im 15. Bezirk getroffen und jeder hat seine Ideen eingebracht, dann hat sich das alles so wunderschön ergeben. 

Nastasja: Wir waren dann auch noch in Tschechien, meine Familie hat dort ein Haus mitten im Wald. Da ist wirklich nichts, also gar nichts rundherum. 

Bester Ort für JOMO wahrscheinlich, oder? 

Nastasja: Genau, der beste Ort für JOMO (lacht)! Und dort haben wir dann wirklich sehr viel aufgenommen. Es war eine extrem schöne Zeit für uns zu dritt, einfach auch freundschaftlich. Das erste Album hat Sophie geschrieben und war eine Introspektion in sich selber und in Themen, die Menschen einfach betreffen, über Beziehungen und Co. Das zweite Album ist jetzt ein Blick in uns alle drei, als Freundinnen, als Einzelpersonen, als Gruppe. Und da geht es viel um Freundschaft, da geht es um Beziehungen, aber da geht es auch um Wut. Und vom Sound her ist es auf jeden Fall eine Weiterentwicklung. Es klingt sicher nicht eins zu eins wie das erste Album. 

Mira Lu: Ich finde, es ist abwechslungsreicher und der Sound ist ein bisschen riskanter geworden. Wir haben mehr riskiert, wir sind mehr an die Grenzen gegangen. Wir sind edgy, mit einer Kampfansage, um dann im nächsten Song wieder kuschelweich zu werden. 


Mira Lu Kovacs (links), Sophie Lindinger (rechts) und Nastasja Ronck (unten) ermutigen zu mehr Akzeptanz sich selbst und anderen gegenüber.

Habt ihr eine Botschaft, die ihr euren Fans mitgeben möchtet?

Mira Lu: It‘s okay to be down. It‘s okay to feel anything. Es ist okay, nicht zu funktionieren. Es ist okay, gelangweilt zu sein, den Sommer nicht perfekt zu nutzen. Es ist okay, einfach eine Flaute zu haben. Es ist okay, die laute Person im Raum zu sein. Es ist okay, die Person zu sein, die mit niemandem reden möchte. Einfach diese Akzeptanz von sich selbst und anderen. 

Dass man auch nicht daraus schließt, dass es vielleicht etwas mit einem selbst zu tun hat oder dass man etwas falsch macht. 

Nastasja: Genau, und das Album „The Good Life“ heißt absichtlich nicht „The Best Life“, weil es eben darum geht! Wenn man immer sagt: „Wenn ich das oder das habe, dann bin ich glücklich“ – dann geht es immer nur um ein Ziel, und den ganzen Weg dahin vergisst man. 

Wenn man aber akzeptiert, dass das Leben wahrscheinlich nie das beste Leben ist, und dass das nicht traurig ist, sondern dass es einfach schön ist, dass es nicht so ist. „The Good Life“ ist ja gut!

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